Simson Mopeds sind heute extrem beliebt weil unzerstörbar, schnell und wendig. Für 49ccm reicht ein Autoführerschein, um mit 65km/h durch den engen Stadtverkehr zu kommen. Sie sind leicht zu erkennen an dem 1 Zylinder-Geknatter und dem stark nach verbranntem Öl riechenden weißen Rauch. Damals, in der DDR der 1980er Jahre hatte nahezu jede Familie mindestens eine Schwalbe, einen S51 oder einen Simson Star, oder auch die stärkeren MZ Motorräder. Schon als Kleinkind saß ich rücklings zwischen Vater und Mutter auf dem Moped- zur Kindergrippe und zurück nach Hause. Immer ohne Helm, aber sehr sicher in den Armen der Mutter. Als meine Beine kaum lang genug waren, um die krummen Fussrasten zu erreichen, lernte ich das Fahren auf der gelben Schwalbe des Kumpels. Irgendwann dann durch geschickte Tauschgeschäfte die erste eigene 2-Takt Simson S51 bekommen, es funktionierte nix, außer dem Motor. Ich konnte Fahren und Bremsen und war stolz wie Bolle (das sagte man damals so). Mein Moped versteckte ich immer gut im Wald aus Angst, jemand könnte mir das klauen. Am Wochenende irgendwie an Benzin kommen, wenigstens 1 Liter- das reicht bis Sonntag Abend. Und dann raus, auf die Felder, oder die Schutthalde. Warum? Freiheit, Bewegung, voran kommen, Risiken eingehen, spüren. Aber auch Schrauben, gestalten, reparieren, SELBST sein zu können. Es hinzukriegen. Selbstbestimmt. Nicht fragen zu müssen, ob man mal zum Freund ins Nachbardorf kann. Irgendwann hat mir einer mein Moped doch geklaut. Ich war sehr traurig, konnte mir auch kein Neues besorgen in der Wendezeit. Mein Moped und ich hatten aber 2 tolle Sommer. So oft habe ich meinem Helden-Vater samstags nach dem Frühschoppen unter den Armen durchgesehen, wie man einen Vergaser reinigt oder einen kaputten Blinker repariert. Dabei trank er immer 2 3 Bier („Edel-Bräu“) und rauchte viele Zigaretten („Duett, Format 100“). Damals wurden die Mopeds aus der Garage geschoben und man traf sich zum gemeinsamen Schrauben im Hof. Eher Selbstzweck als Notwendigkeit. Schmierig-ölige Hände waren das Symbol eines guten Wochenendes. Nichts war bedrohlich, eine erfüllte Kindheit zwischen Benzin, Ferienlager und Altpapiersammlung in der Nachbarschaft. Rückblickend kein Groll, kein „wir hatten ja nix“ oder das erinnerte Gefühl des Eingesperrt-Seins. Irgendwann wurden aus den 2,3 Bier 10,12 am Tag („Radeberger“), aus der schönen elterlichen Schwalbe wurden ein paar lächerliche Mark für noch mehr Bier. Deutsche Mark. Dazu kam viel Zeit durch Arbeitslosigkeit. Ich war der beste „Bier-hol-Sohn“, den man sich hätte Wünschen können. Für 2 Mark habe ich alles gemacht, bin oft mehrmals am Tag in „die Ratte“ (die Kneipe nebenan) gelaufen, um Nachschub zu holen. Irgendwann dann nicht mehr, als ich merkte, die Mutter weint sehr oft und der Vater zunehmend auch. Es gab viel Streit und Geschrei in der Zeit. Der Heldenstatus bröckelte. Zwischen heute und damals liegen etwa 3 Jahrzehnte elterlichen Ehe-Versuchens, diverse Entzüge, Umzüge, Trennungen, Zusammenraufen, nicht gehaltener Versprechen, es „wieder hinkriegen“- wollen. Heute ist der Vater schon seit Jahren trockener Alkoholiker. Da darf man stolz drauf sein. Aber er ist auch erkrankt an Epilepsie und Schizophrenie als Ergebnis seiner Trinker-Historie. Trinker aus Selbstmitleid denke ich, eine andere Antwort oder überhaupt eine Antwort gab es nicht, obwohl ich so oft gefragt hatte. Die Mutter blieb beim Vater, verlor aber auch früh Ihre Arbeit in dieser Ko-Abhängigkeit. Warum sie blieb? „Das war damals eben so“, würde sie sagen. Die Mutter, die den Laden zusammen hält also. Generell keine auffallend besondere Kindheit, anderen erging es ähnlich. Irgendwie unter die Räder gekommen, irgendwie aber auch gar nicht. Ich denke die Wende war nicht schuld, hat aber auch nicht geholfen. Sie war nicht das generelle Problem, bot aber sicher auch keine gute Lösung an. In Zwischenzeit schloss ich die Schule ab, studierte in der nächst größeren Stadt, gründete eine Familie. Den ein oder anderen Trabbi und die Simson Roller habe ich schmunzelnd und anerkennend vorbei fahren sehen in meinem Leben. In den 2000ern dann das erste neue Moped besorgt- einen Plastik China-Bomber, im dicken Neckermann-Katalog bestellt, denn hier konnte man in Raten abstottern, das gefiel mir. Auf Pump also. Der kleine rote Roller war okay, aber keine Möglichkeit zum Schrauben, kaum Geruch, irgendwie auch kein Spaß. Es musste was anderes her. Vom ersten richtige Gehalt als Führungskraft ein Honda Nachbau Roller, 4 Takt, aber mit der Möglichkeit zum Schrauben. Da war es wieder, das gute Gefühl. Jede Möglichkeit genutzt, raus zu kommen, zu fahren, den Wind zu spüren. Es kamen schnell weitere Mopeds dazu. Vor allem die alte Yamaha 2m4 von 1979, 2 Takte, 1 Zylinder, hat es mir angetan. „Warum hast du 7 Mopeds, Papa?“ werde ich von einer meiner Töchter gefragt. „Man kann doch immer nur eine fahren.“. Unbestritten wahr. Es geht wohl ums Schrauben, ums Neu machen, Reparieren, Gestalten. Kinder die dem Vater beim Schrauben zusehen, das hat für mich etwas Nostalgisches und erinnert mich an die oft schöne Kindheit auf dem Hof, neben dem heldenhaften Vater und auf die Mutter hörend, die aus dem Fenster „Essen ist fertig“ ruft. Ich habe in meinem Leben noch kein ganzes Bier getrunken und will es nicht. Keine einzige Zigaretten geraucht. Klar- mal probiert. Aber nicht mehr. Bestimmt weil ich zusehen konnte, was daraus entstehen kann, das hat mich maßgeblich geprägt. Auch zu dritt auf einem Moped gibt es heute nicht mehr. Aber einen Moped-Kindersitz und einen geprüften Helm für die Kleine. Damit kann’s raus gehen.
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