“Wir waren bei einer guten Freundin zum Essen eingeladen. Ich ging in einem schicken Vintage-Seidenkleid, mein Freund in einem Anzug mit farblich passendem Hemd und Einstecktuch. Wir brachten eine Flasche Crémant mit; auch die anderen Gäste trugen Kleider beziehungsweise Hemden oder hübsche T-Shirts und Hosen. Meine Freundin, die Gastgeberin, hatte sich geschminkt und einen glänzenden Rock angezogen, sie holte uns an den gedeckten Tisch, auf dem sie Vorspeisen, Sektgläser und Blumenvasen verteilt hatte. Wir setzten uns, stießen an und begannen, unsere neuesten Anekdoten auszutauschen, und uns darüber zu freuen, uns endlich alle einmal wiederzusehen.Beim Hauptgang erschien auch der Mann meiner Freundin – er trug seinen ausgebeulten Schlafanzug und war unrasiert. Es ginge ihm nicht besonders, erklärte er, er fühle sich erkältet. Darum sei er nur kurz zum Essen aus dem Schlafzimmer gekommen, wir sollten ihn gar nicht weiter beachten. Er aß seinen Teller leer, und verschwand wieder. Hat er Depressionen, fragte ich meine Freundin. Nein, sagte sie, er ist nur jemand, der es nicht einsieht, an Etiketten festzuhalten. Er wolle sich zu Hause wohlfühlen, und zu seiner Vorstellung von Gemütlichkeit gehöre die dementsprechend bequeme Kleidung.Ich hätte mir gewünscht, dass er gar nicht herausgekommen wäre, sagte ichspäter zu meinem Freund. Der Code, den man anwendet, wenn man sich für ein Treffen mit Freunden oder für irgendeine andere Verabredung schick macht,basiert auf Respekt: Damit, wie ich mich anziehe, drücke ich meinen Respekt gegenüber der Einladung und den Einladenden aus, genauso wie meineFreude und Dankbarkeit. Der Mann meiner Freundin hatte seine Respektlosigkeit ausgedrückt, gegenüber ihr und ihren Freunden. Die beiden sind übrigens nicht mehr zusammen.“
Persönliche Facts