In einem schönen verwilderten Garten lebte der kleine Wurm. Er kroch mit großer Vorliebe durch die grüne Wiese, die mit bunten Wildblumen übersät war. Die Grashalme kitzelten ihn an seinem Bauch. Wenn er hochsah, konnte er entlang der grünen Stengel bis hoch zur Blüte des gelben Löwenzahns schauen. An manchen Tagen dienten sie ihm als Sonnenschirm an anderen wiederum als Schutz vor dem Regen. Wobei er den Regen liebte, der seinen Körper von der klumpigen, trockenen Erde an manch heißen Sommertagen frei wusch. Überhaupt hatte er jetzt öfter das Gefühl, dass die Tage immer heißer wurden und der Regen immer seltener vom Himmel auf ihn herabfiel. Aus Neugier, aber auch, weil er diesen Garten in und auswendig kannte, schaute sich auch im Nachbargarten um. Auch dieser war ihm bald sehr vertraut, so dass er weiter in viele andere Gärten kroch. Wie weit er schon von seinem Garten, in dem seine Freunde, die Ameisen, die Wildbienen und die Kellerasseln lebten, entfernt war, bemerkte er nicht. Dieser eine Garten fiel ihm ganz besonders ins Auge. Der Garten war wie ein einziges, großes Muster, was seine Neugier noch mehr weckte. Als er durch das Tor gekrochen war, sah er, dass der Garten der ordentlichste war, den er je gesehen hatte. Kein Unkraut, kein einziger noch so winziger Grashalm wuchs hier. Wenn es Blumen gab, so waren sie in Blumentöpfen aus grauem hartem Material. In manchen Blumentöpfen konnte sich der kleine Wurm sogar spiegeln. Er streckte sich empor und sah aus, wie ein langer, dünner Grashalm. Eine braune Grashalmschlange. Er kugelte sich vor lachen, rollte sich zusammen und wurde breit und platt, wie ein Hundehaufen. Er kroch im Bogen an dem Blumentopf vorbei und wenn er das Ungeheuer von Loch Ness gekannt hätte, so wäre wohl sein Spiegelbild eine perfekte Mini-Ausgabe gewesen. Er spielte eine Weile, bis ihm auffiel, dass es außer ihm hier keine anderen Insekten zu geben schien. „Das konnte doch nicht sein!“ Dachte der kleine Wurm, „es muss doch auch hier, irgendwo unter irgendeinem Stein versteckt, einen kleinen Freund geben mit dem ich zusammen spielen kann!“ „Hallo, ist hier jemand?“ Seine Stimme hallte von den Blumentöpfen zurück. Es blieb still, keine Biene die hier summte, keine Hummel, die hier brummte und keine Fliegen. Stille! Nichts, einfach nichts! So sehr er sich anschickte die Blumentöpfe hoch zu kriechen, vergebens, er rutschte an dem spiegelglatten Material ab. Mittlerweile war er ziemlich erschöpft. Und plötzlich vernahm er ein unüberhörbares Knurren. Das war aber nur sein kleiner Magen, der Hunger anmeldete. In der Ferne sah er etwas, was so hoch wie ein Komposthaufen war, schnell eilte er sich dahin zu kriechen. Enttäuscht musterte er den Haufen als er endlich angekommen war, es waren lauter Steine, die kunstvoll übereinanderlagen. Nichts, was seinen Hunger hätte stillen können. Verzweiflung machte sich in dem kleinen Wurm breit, kein Freund weit und breit, keine helfende Hand, die ihm den Weg zurück zeigen konnte. Der Weg zurück in die wilden Gärten, war für ihn, so matt und müde er war, unerreichbar. Selbst über einen Vogel hätte er sich jetzt gefreut. Bestünde doch dann wenigstens die Chance, dass der ihn als Futter für seine Jungen fangen würde und durch die Lüfte davontrüge. Mit etwas Glück könnte er sich ja befreien. Aber lieber von einem jungen Vogel gefressen werden, als in dieser Steinwüste sterben. Er schaute in den Himmel, keine Wolke war zu sehen, kein Regen, der ihn fortschwemmen oder wenigstens seinen Durst löschen konnte. „Was haben sich die Menschen dabei nur gedacht, als sie diesen Steingarten angelegt haben? Wahrscheinlich waren die Blumen in den Blumentöpfen gar nicht echt, sondern aus Plastik! Igitt, Pfui, dieses Zeug, das nie vergeht und ungenießbar ist. So was erfinden auch nur Menschen!“ Einmal hatte er eine kleine rote Kugel auf seiner Wiese gefunden, sie sah so lecker aus, dass er sie in einem Zug verschlang. Er brauchte Tage bis er sie so wieder ausschied, wie er sie gefunden hatte. Es war eine Kugel aus Plastik und keine neue Frucht, wie er vermutet hatte. Wut und Verzweiflung machten sich in dem kleinen Wurm breit, der Hunger nahm den restlichen Platz in seinem Bauch ein. „Ich werde es euch zeigen, ihr dummen Menschen!“ Sprach er mutig zu sich selbst als er den ersten Bissen von dem dicksten Stein nahm. Er biss noch mal kräftiger zu, ein Brocken löste sich. „Bäh!“ Spuckte er ihn angewidert aus. „Ich muss es tun, ich muss ihnen Einhalt gebieten!“ Er biss einen noch größeren Brocken aus dem Stein, er wiederholte das so oft er konnte und schluckte die dicksten Brocken, auch wenn er wusste, dass das seinen sicheren Tod bedeuten würde. Sein Bauch wurde schwer und schwerer bis der arme Wurm in der Mitte durch riss: „Adieu Du schöne Welt, ich habe es für Deinen Fortbestand getan, sei gut zu mir und gib mich in ein schönes neues Leben zurück!“ Seufzte er, bevor er qualvoll starb. Die Erde war sehr beeindruckt von dem Opfer des kleinen Wurms, er hatte sein Leben gegeben als Protest gegen die mächtigen Menschen, die seine Natur so sehr zerstören. Die Menschen, die sicherlich nicht einmal bemerkt haben, dass dieser kleine Wurm ihretwegen gestorben ist. Ein paar Wochen später geschah es, dass ein Mensch an dem Steinhaufen vorbeiging und das Loch in dem Stein sah, das der Steinwurm hineingebissen hatte. Das Loch war gefüllt mit Erde und ein winzig kleines Gänseblümchen reckte sich stark und kräftig hervor. Der kleine Junge holte eine Flasche mit Wasser und goss das Gänseblümchen. Fortan jeden Tag und wenn er sich weiter so gut um sein einziges Blümchen gekümmert hat, so wuchs doch auf dem Steinhaufen im folgenden Jahr eine Gänseblümchenwiese in der sich das Insektenleben wieder tummeln konnte. Und wenn dieser kleine Junge seinen Eltern erklären konnte, dass es viel schöner ist einen lebendigen Garten, mit allem was da kriecht und krabbelt zu haben, so ist dieser Garten heute so verwildert, dass man kaum noch Steine erkennen kann. Und wenn es noch Steine gibt, so wächst auf ihnen Moos und unter ihnen krabbeln die Kellerasseln und anderes Getier...
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