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Mein Opa erzählt mir viel von früher - ich denke mal es geht vielen so, dass ihre Großeltern Zuflucht in ihren Geschichten suchen. Geschichte über Geschichte wird immer und immer wieder erzählt. Doch eine erzählt er besonders oft. Die Geschichte einer deutsch-deutschen Freundschaft - von seinem Brieffreund Heinz. Mein Großvater lebte damals mit meiner Großmutter und meiner Mutter in Braunschweig. Er hatte schon lange ein Interesse an Briefmarken und hat sie mit Leidenschaft gesammelt. Er wünschte sich allerdings jemanden, mit dem er diese Leidenschaft teilen und sich austauschen könnte. Zufällig überhörte seine Nachbarin genau dies und schlug vor, dass er sich mit ihrem Neffen Heinz in Verbindung setzen könnte. Sie habe es mit Heinz schon abgesprochen und er würde sich auch darüber freuen einen Brieffreund zu haben, mit dem er Briefmarken austauschen könne. Vor allem da es im Osten und Westen verschiedene Briefmarken gab, war dies besonders interessant. So kam das eine zum anderen und plötzlich hatte mein Opa einen Freund in der DDR, mit dem er regelmäßig Briefe hin und her schickte. Hunderte über Hunderte Briefmarken tauschten die beiden aus und ihre Freundschaft wuchs immer mehr. Aber Briefe aus der DDR sind natürlich auch besonders: Er erzählt von den Briefen die er erhalten hat. Sie wurden wieder und wieder aufgeschnitten und dann billig zugeklebt: “Da hat eine Behörde die andere kontrolliert, die haben sich noch nichtmal untereinander getraut!“ Nach einer Weile waren die Briefe allerdings nicht genug für meinen Opa. Er wollte seinen gefundenen Freund Heinz gerne vor Ort in der DDR besuchen und die Freundschaft nicht durch Grenzen und Kontrolle der DDR beschränken lassen. Er war zuvor noch nie dort und somit waren vor allem die ersten Besuche sehr nervenaufreibend. Erzählungen von den stundenlangen Grenzkontrollen lassen mich nur darauf schließen, was für eine Invasion dort stattfand. Autos, die bis auf das Grundgerüst auseinander genommen wurden. Sitze hochklappen, Koffer auspacken und alles durchsuchen. Für jemanden aus dem Westen war all dies fremd und sehr beängstigend. Ein falscher Schritt, ein falsches Wort oder ein Werter, der einen schlechten Tag hat und alles hätte sich zum negativen wenden können. “Du weißt nicht, was dich da erwartet. Du musst mit allem rechnen“, so mein Großvater. Auch während der Besuche war alles angespannt. Meine Familie wohnte in der Zeit des Besuches bei Heinz, da er vorgab, dass sie mit ihm verwandt seien. Aber auch in seinen eigenen vier Wänden war es nicht sicher. Themen wie Politik oder dem Westen waren verboten. Die Kinder wurden rausgeschickt, wenn sich über so etwas unterhalten wurde. Man konnte sich nicht sicher, ob sie sich nicht aus Versehen bei der falschen Person verplappern. Wenn sich über solche Themen unterhalten wurde, dann im Flüsterton und nur unter sich. “Die Wände hören mit“, sagte Heinz zu meinem Großvater. Heißt: die Wände waren so dünn, dass die Nachbarn alles hören konnten; und jeder der Hausbewohner konnte heimlich bei der Stasi angestellt gewesen sein. Wenn sie hier erwischt worden wären, hätte das ernsthafte Konsequenzen mit sich gezogen. Heutzutage ist es für mich unvorstellbar in so einem Zustand zu leben. Ständige Unsicherheit und Angst, abgehört zu werden... Angst, aus Versehen etwas falsches zu sagen und bestraft zu werden. Das bei weitem beängstigendste war für meinen Opa allerdings die Ausreise aus der DDR. Der Grund? Die Briefmarken, die Heinz ihm tauschte hatten immer weniger Wert als die aus dem Westen. Aufgrund dessen gab er meinem Opa unter der Hand Briefmarken mit, die er dann aus der DDR schmuggelte. Sogenannter “Devisenschmuggel“. Wenn er mit diesen Briefmarken bei der Grenzkontrolle erwischt worden wäre, dann hätte er im schlimmsten Falle im DDR-Gefängnis eingesperrt werden können. Bei der Ausfahrt wurde jedoch nicht jedes Auto kontrolliert. Einzelne Fahrzeuge wurden nach Lust und Laune aus der Schlange gezogen und in einem separaten Raum komplett auseinander genommen. Auch hier mussten die Kontrollierten alles auspacken - sogar die dreckige Wäsche wurde durchwühlt. “Ich hatte so eine Angst dort erwischt zu werden... das kannst du dir garnicht vorstellen“ meint mein Opa zu mir. Ich kann auf seinem Gesicht erkennen, wie er sich an diese Momente zurückerinnert und die Furcht und die Beklemmung erneut durchlebte. Zu aller letzt erzählte mir mein Opa von der Situation nach der Rückkehr in die BRD. Nachdem meine Familie die Grenze erfolgreich passierte, riefen sie Heinz an und sagten ein vorher festgelegtes Kennwort: “Hier scheint die Sonne“ - bedeutet so viel wie: “Alles gut gegangen, wir wurden nicht erwischt“. Endlich ist die Anspannung, Beklemmung und Angst verschwunden und alles was über blieb war pure Erleichterung die DDR verlassen zu haben.

Persönliche Facts

Pinke Teppich
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