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Im August 1968 wollte ich mich mit meinem Freund, der in der Schweiz lebte, in Prag treffen, um über eine illegale Ausreise zu sprechen. Wir hatten beschlossen, zu heiraten. Eine legale Ausreise für DDR-Bürger in ein westliches Land war seit dem 13. August 1963 (Mauerbau) sehr schwer zu erreichen! In dieser Zeit war der sogenannte “Prager Frühling“ auf seinem Höhepunkt. Kurz nach meiner Einreise in die Tschechoslowakei wurden die Grenzen von den DDR-Behörden geschlossen. Mein Freund kam jedoch nicht, und drei Tage nach meiner Ausreise aus der DDR marschierten Soldaten des Warschauer Paktes mit Panzern in die Tschechoslowakei ein.Entschlossen, die DDR im November 1968 illegal über Ungarn und Jugoslawien zu verlassen, machte ich mich ohne Gepäck allein auf den Weg in Richtung jugoslawische Grenze. Dabei nahm ich nur die wichtigsten Dokumente und eine Rasierklinge in der Hosentasche mit. Ich hatte diese Rasierklinge dabei, um mir die Möglichkeit zu geben, mich selbst zu töten, wenn ich angeschossen würde. Ich wollte nicht wie andere, zum Beispiel Peter Fechter am 17.08.1962 an der Berliner Mauer, verbluten. Allein marschierte ich im November über Wiesen und Felder in völliger Dunkelheit Richtung Grenze. Spät in der Nacht wurde ich von ungarischen Soldaten verhaftet. Ich leistete keinen Widerstand und wurde von ungarischen Bauern beobachtet, die mich sicher für Geld an die Grenzsoldaten verraten hatten. Die Soldaten brachten mich nach Szeged zurück, wo ich den Rest der Nacht in einer provisorischen Zelle im Keller mit einer jungen Roma verbrachte, die versuchte, mich zu trösten.Am nächsten Tag wurde ich von einem Mann mit Wiener Akzent ohne Zeugen verhört. Danach brachten mich Beamte nach Budapest, wo ich in einer Einzelzelle, in der das Licht ständig brannte, eingeschlossen wurde. Dort erhielt ich auch deutsche Bücher, zum Beispiel “Kreuzfahrer von heute“ von Stefan Heym, dessen Schriften bereits in der DDR verboten waren. Ich wurde wiederholt ohne Zeugen und ohne Rechtsbeistand verhört und an einem Abend von dem Verhörbeamten bis zum Flugplatz begleitet. Dort übergab er mich an Staatssicherheitsleute der DDR.In Berlin angekommen wurde ich in ein Gefängnis (Hohenschönhausen) gebracht, wo ich den Rest der Nacht in Einzelhaft verbrachte. Von dort aus wurde ich in einem zivilen Pkw nach Magdeburg gebracht, wo ich die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit betreten musste. Während der Fahrt war ständig eine Pistole auf mich gerichtet! Dort saß ich in verschiedenen Zellen und wurde mit einer jungen Ärztin zusammengebracht, die ebenfalls versucht hatte, aus der DDR zu fliehen. Ich vermutete, dass die Ärztin als inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit Informationen über mich weitergab. Hier war ein Kontakt mit anderen Gefangenen ausgeschlossen!Nach Verhören, wieder ohne einen Rechtsanwalt, wurden Fotos von mir gemacht und die Fingerabdrücke genommen. Dann ging die Fahrt in einem Kleintransporter ohne Fenster nach Stendal, meinem Wohnort. In Stendal saß ich weiterhin in Untersuchungshaft und wurde schließlich vor Gericht gestellt, wo ich zu 18 Monaten Haft wegen “Republikflucht“ verurteilt wurde. Die Verhandlung wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt!Man brachte mich nicht in das berüchtigte und gefürchtete Frauengefängnis in Hoheneck. Als Kalfaktor musste ich nun in der Frauenabteilung Essen ausgeben, Büroräume säubern und Wäsche waschen. Ich erlebte überall die harte Realität des Gefängnislebens, das von Überwachung, Einschränkungen und psychischem Druck geprägt war. Doch trotz all der Schwierigkeiten fand ich auch Unterstützung und Solidarität unter den Mitgefangenen. Wir halfen einander, indem wir Informationen durch Klopfzeichen austauschten, uns gegenseitig ermutigten und kleine Momente des Trostes in der tristen Gefängnisumgebung schafften. Ich verbrachte meine wenige freie Zeit im Gefängnis damit, vorgeschriebene Bücher zu lesen. Schreiben war nicht erlaubt. So verging fast ein Jahr. Meine Reststrafe wurde in eine Bewährungsstrafe umgewandelt.Als politischer Gefangener musste auch ich ein Schreiben unterzeichnen, nichts aus der Haftzeit zu erzählen! Niemand fragte mich auch und ich erzählte nie von dieser Zeit! Ich konnte nur weiter äußerlich angepasst in der DDR leben. Obwohl ich endlich wieder in Freiheit war, trug ich die Narben meiner Erfahrungen und wusste, dass mein Leben nie mehr dasselbe sein würde. Ein Studium wurde mir zuerst verwehrt, weil ich „nicht würdig war, in der DDR zu studieren“. Endlich, nach vielen Jahren des Wartens, durfte ich ein Fachschulstudium aufnehmen und mit der Note “Sehr Gut“ abschließen! 1998 nahm ich nicht an den Montagsdemonstrationen teil. Ich hatte Angst, wieder in die Fänge der Staatssicherheit zu gelangen! Erst im vereinigten Deutschland begann ich meine Geschichte zu erzählen. In Israel lernte ich Shoa-Überlebende kennen. Sie sagten mir: Es ist wichtig, über die Vergangenheit zu sprechen. Nur wer das weiß, wird die Gegenwart und die Zukunft gut gestalten! Heute bin ich im Vorstand des Chemnitzer Vereins Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis für die Zeitzeugen verantwortlich.

Persönliche Facts

Auschwitzer Christus
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