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Intro
Hey, ich bin Clara, 23 Jahre alt, und studiere Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der UdK Berlin. Momentan schreibe ich an meiner Bachelorarbeit. Für mich bedeutet Freiheit in erster Linie die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig sehe ich Freiheit manchmal auch als eine Form von Einschränkung, da wir, um ein ausgewogenes Maß an Freiheit für alle zu gewährleisten, manchmal unsere eigenen Freiheiten einschränken müssen, insbesondere wenn sie die Freiheiten anderer beeinträchtigen könnten. Aber wie verhält es sich in Situationen, in denen man auf die Expertise anderer angewiesen ist oder körperlich nicht in der Lage ist, sich für sich selbst einzusetzen? Diese Fragen finde ich besonders in der Medizin relevant, und ich freue mich darauf, heute mehr darüber zu erfahren.


Interview

Ich bin Clara und heute hier in einem sehr schönen Krankenhaus am Rande von Berlin, umgeben von viel Grün. Ich sitze hier mit Kathrin Heisterkamp. Sie ist 38 Jahre alt und seit zweieinhalb Jahren Oberärztin hier im Krankenhaus, wo wir den Morgen gemeinsam verbracht und auch mit einem Patienten gesprochen haben. Kathrin, dein Fachgebiet ist die Hämatologie und Onkologie. Kannst du uns kurz erklären, was das genau bedeutet?

Genau, ich bin Internistin und habe einen Facharzt für Innere Medizin. Das bedeutet, ich beschäftige mich mit Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, des Magen-Darm-Trakts und anderen Organen, die oft mit Medikamenten behandelt werden können. In diesem Bereich habe ich mich auf Hämatologie und Onkologie spezialisiert, also auf bösartige Erkrankungen des blutbildenden Systems und der Organe. Das bedeutet, dass ich täglich mit Patienten arbeite, die an Krebs erkrankt sind, besonders im Magen-Darm-Bereich.

Wie kam es dazu, dass du dich für dieses Fachgebiet entschieden hast?
Das Interesse begann bei mir sehr früh. Anfangs wollte ich nur den Facharzt für Innere Medizin machen, aber während meiner ersten Ausbildung in einer Lungenklinik bin ich überwiegend auf Patienten mit Lungenkrebs gestoßen. Dort habe ich schnell gemerkt, dass dieses Fachgebiet eine besondere Herausforderung darstellt. Man begleitet Patienten oft von der Diagnose bis zum Tod, aber es gibt auch Fälle, in denen Heilung möglich ist. Das ständige Gespräch mit den Patienten hat mir sehr gefallen, und deswegen habe ich mich entschieden, mich auf dieses Gebiet zu spezialisieren.

Ich habe neulich eine Dokumentation gesehen, in der erwähnt wurde, dass sich die Lebenserwartung in den letzten 150 Jahren verdoppelt hat. Inwiefern hält die Entwicklung der Lebensqualität mit diesem Fortschritt mit?

Besonders in meinem Fachgebiet hat es enorme Fortschritte gegeben. Vor zehn Jahren starben viele Lungenkrebspatienten sehr schnell, oft innerhalb von sechs Monaten, trotz intensiver Chemotherapie. Heutzutage gibt es zielgerichtete Therapien, die Mutationen in der DNA behandeln, sowie Immuntherapien, die das Leben der Patienten oft um Jahre verlängern können. Die Lebensqualität hat sich dadurch ebenfalls verbessert, da diese neuen Therapien weniger belastend sind als die traditionellen Chemotherapien.

Wie misst du die Lebensqualität deiner Patienten?
Das geschieht meist intuitiv durch Gespräche mit den Patienten. Ich frage sie, wie es ihnen geht, und versuche, ihre Antworten zu spezifizieren. Es kann viele Gründe geben, warum sich jemand schlecht fühlt, sei es durch Nebenwirkungen der Therapie oder andere Sorgen wie finanzielle Probleme. Durch diese Gespräche kann ich oft Rückschlüsse auf ihre Lebensqualität ziehen, obwohl man als Arzt immer vorsichtig sein muss, da man die Qualität des Lebens oft nicht objektiv genug beurteilen kann.

Du hast hier einen Bilderrahmen mitgebracht, der ist weiß, und in der Mitte ist ein Zettel, auf dem steht, wie zerbrechlich ist deine Freiheit. Im Hintergrund sind Zettelfetzen, die beschrieben sind. Kannst du mir einmal kurz erklären, was das ist?

Genau, also das ist sozusagen meine Art, eine Anekdote in einen Gegenstand zu übersetzen. Dieser Bilderrahmen steht im Prinzip für eine Erfahrung, die ich auf einem palliativen Seminar gemacht habe. Die Leiterin des Seminars erzählte uns eine Geschichte, die uns in die Lage einer Leukämie-Patientin versetzen sollte. Sie bat uns zu Beginn, wichtige Dinge, die uns im Leben viel bedeuten, auf kleine Zettel zu schreiben. Während sie die Geschichte weiter erzählte, nahm sie uns diese Zettel nach und nach ab und zerriss sie vor unseren Augen. Auf diese Weise wollte sie uns klarmachen, was ein Mensch alles durch eine schwere Erkrankung verlieren kann.

Für mich blieb dabei vor allem der Verlust der Freiheit als zentraler Punkt übrig. Ich wollte diese Erfahrung teilen, weil sie mir geholfen hat, ein tieferes Verständnis davon zu bekommen, was es bedeutet, wenn man in einer solchen Situation ist und merkt, dass man immer weniger Kontrolle über sein Leben hat. Die Zettel, die einem aus der Hand gerissen werden, symbolisieren den Verlust der Kontrolle über die eigenen Entscheidungen, über die Bewegungsfreiheit, über die eigenen Gefühle und letztlich über das, was man noch tun kann. Diese Erfahrung war für mich sehr wichtig, weil ich dadurch für mich klarer definieren konnte, was Freiheit überhaupt bedeutet. Letztlich geht es darum, wenn einem Entscheidungen abgenommen werden, wie man dennoch seinen Fokus neu ausrichten kann: Wo bleibt noch etwas, das man selbst entscheiden kann?

Ich versuche, diesen Gedanken auch in meiner Arbeit mit meinen Patienten anzuwenden. Ich begleite sie durch ihre Erkrankung und helfe ihnen, in dieser Reflexion mit sich selbst ihre Freiheiten zu finden, sodass wir ihre Freiheit nicht unbewusst einschränken.

Gibt es besondere Beispiele, wie sich schwerkranke Patientinnen bei dir für ihre Freiheit eingesetzt haben?

Gute Frage. Spontan fällt mir keine einzelne Person dazu ein. Es scheint, als ob diese Momente nicht häufig explizit thematisiert werden. Das könnte darauf hindeuten, dass das Thema Freiheit in diesen Situationen vielleicht nicht genug angesprochen wird. Viele Patienten werden von ihrer Erkrankung regelrecht überrannt und von den Entscheidungen, die von außen mit ihnen getroffen werden, mitgerissen. Als behandelnde Therapeutin im Krankenhaus folge ich oft vorgegebenen Schritten mit den Patienten. Wenn ich jedoch das Gefühl habe, dass eine Behandlung medizinisch nicht mehr sinnvoll oder indiziert ist, bespreche ich das mit den Patienten, und sie entscheiden dann wieder neu. Dabei habe ich den Eindruck, dass sie ihre Freiheit in diesen Momenten nicht unbedingt als eingeschränkt empfinden oder es zumindest nicht zurückmelden.

Wie würdest du Freiheit für deine Patient:innen definieren?
Freiheit basiert in meinen Augen ganz stark auf den Informationen, die die Patienten von mir erhalten. Wenn ich ihnen alles, was ich über ihre Erkrankung weiß, in einfachen, verständlichen Worten erkläre und ihnen die verschiedenen Schritte aufzeige, dann gebe ich ihnen die Möglichkeit, fundierte Entscheidungen zu treffen. Manchmal kann ich ihnen auch einen Ratschlag geben, indem ich sage: „Wissen Sie, wenn es für Sie schwer ist, eine Entscheidung zu treffen, würde ich persönlich es vielleicht so und so machen.“ Es ist wichtig, ihnen Zeit zu geben, das Gehörte zu verarbeiten, damit sie eine Entscheidung für sich und ihr Leben treffen können. So gebe ich ihnen einen Raum, in dem sie frei sein können.

Allerdings ist dieser Raum durch die Krankheit trotz allem begrenzt. Es gibt physische und psychische Einschränkungen, die wir nicht ändern können. Das gehört zur Realität der Erkrankung, und diese Einschränkungen müssen wir akzeptieren und damit umgehen.

Wie sieht es aus, wenn Patienten Maschinen brauchen, um am Leben erhalten zu werden? Wie steht es dann um ihre Freiheit, sich gegen solche Maßnahmen zu entscheiden?

In meinem Bereich versuche ich, solche Themen frühzeitig mit den Patienten zu besprechen, damit es später keine schwierigen Entscheidungen gibt. Es ist wichtig, dass die Patienten wissen, was sie wollen, und dass diese Wünsche respektiert werden. Es kommt selten vor, dass Patienten darauf bestehen, weiter behandelt zu werden, wenn es keinen Sinn mehr macht, denn sie verstehen oft, dass eine weitere Behandlung ihnen mehr schaden als nützen könnte.

Welche Rolle spielen Angehörige bei den Entscheidungen deiner Patienten?
Angehörige spielen oft eine entscheidende Rolle. Patienten, die wissen, dass sie unheilbar erkrankt sind, richten ihren Blick oft nach außen und treffen Entscheidungen basierend auf den Wünschen ihrer Angehörigen. Deshalb ist es wichtig, diese in den Entscheidungsprozess einzubeziehen und sicherzustellen, dass alle Beteiligten die Situation verstehen.

Es gibt eine Bezeichnung aus den USA, das „Daughter from California Syndrome“, wo Angehörige in letzter Minute auftauchen und verlangen, dass alles getan wird, um die Person am Leben zu halten. Wie gehst du mit solchen Situationen um?

Solche Situationen kenne ich auch. Es ist wichtig, dass man sich als Arzt an den Willen des Patienten hält und nichts tut, was dieser nicht will. Auch wenn Angehörige weiter behandeln wollen, muss man abwägen, ob diese Wünsche dem Patienten nicht eher schaden würden. Wenn man den Angehörigen die Situation in Ruhe erklärt, verstehen sie meist, dass das Bestmögliche nicht immer das Maximal Mögliche ist.

Was passiert, wenn ein Patient nicht mehr in der Lage ist, seine eigenen Wünsche zu kommunizieren und keine Angehörigen hat?
In solchen Fällen wird ein amtlicher Betreuer bestellt, der zusammen mit dem Arzt den mutmaßlichen Willen des Patienten ermittelt. Wenn es keine klare Patientenverfügung gibt, muss der Arzt im besten Interesse des Patienten handeln, was sehr schwierig sein kann. Solche Entscheidungen werden meist im Team getroffen.

Wie fühlt es sich an, solche Entscheidungen zu treffen?

Wenn man sich an die rechtlichen Vorgaben hält und sich überlegt, was sinnvoll ist, fühlt es sich tatsächlich wie normale Arbeit an. Es ist wichtig, dass man in solchen Situationen professionell handelt und sich auf die Fakten konzentriert.

Welche Veränderungen in der Gesetzgebung oder im gesellschaftlichen Bewusstsein könnten die Freiheit der Patienten am meisten fördern?

Ich denke, dass Freiheit vor allem durch Informationen gefördert wird. Die Diskussion um den assistierten Suizid zeigt, dass es viele Unsicherheiten gibt. Solche Lücken müssen gefüllt werden, um den Menschen die Freiheit zu geben, informierte Entscheidungen zu treffen. Wir müssen die Angst, die das Thema Sterben umgibt, überwinden, um einen offenen Dialog zu ermöglichen.




Wechsel der Perspektive
Was bedeutet für dich der Begriff Freiheit, Clara?

Für mich bedeutet Freiheit, die Möglichkeit zu haben, Entscheidungen für sich selbst zu treffen. Aber ich glaube auch, dass Freiheit manchmal Einschränkung bedeuten kann, um die Freiheiten anderer zu schützen. In der Medizin, insbesondere wenn man mit sterbenskranken Menschen arbeitet, stelle ich mir das besonders schwierig vor. Ich würde mir wünschen, dass mir in solchen Situationen Ärzte helfen könnten, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Das ist eine interessante Sichtweise. Und nach diesem Tag heute, was hat dich am meisten berührt?

Ich fand es sehr interessant, dass Freiheit auch in die andere Richtung gehen kann, wie bei dem Patienten, der sich entschieden hat, mit der Behandlung fortzufahren, obwohl er die Möglichkeit hatte, eine Pause einzulegen und freier zu leben. Das hat mir gezeigt, dass Freiheit sich ständig verändern kann und dass es wichtig ist, die Entscheidungen anderer zu respektieren.

Vielen Dank, dass du heute dabei warst. Es war schön, mit dir zu sprechen, Clara.

Danke, Kathrin. Es war mir eine Freude.



Reflexion

Nach dem Interview waren wir noch einen Kaffee trinken. Obwohl sie täglich mit schwerkranken Menschen zu tun hat, meinte Kathrin, dass sie es schafft, ihre Arbeit auf der Arbeit zu lassen. Sie weiß, dass sie ihr Bestes gegeben hat, und das gibt ihr die Freiheit, sich nicht weiter damit zu belasten. Diese Haltung fand ich sehr beeindruckend, denn dahinter steckt eine Art von Selbstbestimmung, die vielen fehlt – auch mir. Ich denke, dass es vielleicht leichter ist, zu sterben, wenn man das Gefühl hat, sein Leben so gelebt zu haben, wie man es wollte.

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