Intro
Ich bin Sabine, ich stehe vor dem bUm Berlin und treffe hier Eva Mörchen. Ich bin mit meiner Tochter hier, bin super aufgeregt und freue mich sehr auf diesen Tag. Es ist spannend, was Eva zum Thema Freiheit denkt und fühlt und inwiefern das mit ihrer Arbeit hier im bUm zusammenhängt.
Interview
Hallo, liebe Eva. Ich bin Sabine, ich arbeite in Leipzig und bin Mama eines kleinen Kindes. Wir sitzen hier im bUm, im großen Veranstaltungssaal einer schönen alten Werkshalle. Du bist eine weiße Person mit offenen, langen Haaren und strahlst sehr gewinnend. Erzähl doch bitte erst einmal ein bisschen über dich selbst.
Hallo, ich bin Eva, meine Pronomen sind sie/ihr. Ursprünglich komme ich aus Frankreich und lebe seit 15 Jahren in Deutschland, davon 11 Jahre in Berlin. Ich bin Geschäftsführerin hier im bUm, einem Raum für solidarisches Miteinander. Wir haben diesen Ort im Zuge von Protesten gegen Google, die hier ursprünglich einen Start-up Campus eröffnen wollten, übernommen. Nach einem Jahr der Proteste der sehr politisierten Kreuzberger Nachbarschaft hat Google beschlossen, den Raum der Zivilgesellschaft zu übergeben.
Was würdest du sagen, hat dieser Ort für dich mit Freiheit zu tun?
„Wir sind ein Ort für die Zivilgesellschaft und haben das große Privileg, dass Google diesen Raum sehr gut ausgestattet hat. Dadurch ist hier ein Freiraum für zivilgesellschaftliche Projekte und soziale Initiativen entstanden, die hier arbeiten, sich treffen und Veranstaltungen organisieren können – zu extrem günstigen, teils sogar kostenlosen Bedingungen. Google zahlt weiterhin die Miete, weshalb wir diesen Ort vielen Organisationen kostenfrei zur Verfügung stellen können. Dank der hervorragenden Infrastruktur, die dem Sektor sonst oft fehlt, ist hier vieles möglich. Wir sind ein zentraler Ort in Berlin, mit ausgezeichneter Infrastruktur und einer organisierten Nachbarschaft, die viele Projekte im Kopf hat und hier den Raum findet, um sie umzusetzen. Dieser Ort ist eine Art Freiraum, wo vieles entstehen kann. Genau das hat mich hierher gezogen. Seit ich denken kann, hatte ich den Wunsch, einen Ort zu schaffen, der genau das ist: Ein Freiraum für Ideen und Menschen, die etwas auf die Beine stellen wollen. Ich hatte immer das Gefühl, dass ein Ort der Anfang ist, an dem vieles möglich wird. Das fasziniert mich so sehr an diesem Ort.
Du hattest vorhin erzählt, dass du immer davon geträumt hast, so einen Ort zu erschaffen. Und dann war er auf einmal da und du konntest direkt einsteigen. War das ein gutes Gefühl?
Es war auf jeden Fall ein schönes Gefühl, vor allem weil ich schon Jahre zuvor angefangen hatte, über so etwas nachzudenken. Ich bin in den Bergen in Südfrankreich aufgewachsen, wo man jeden kannte. Das hatte natürlich auch Nachteile, aber eben auch viele Vorteile. Für mich war das immer sehr schön. Als ich dann in die Großstadt zog, merkte ich, dass wir oft nicht mal unsere Nachbarn kennen. Orte in der Nachbarschaft, die Gemeinschaft bilden und Menschen zusammenbringen, waren schon länger in meinem Kopf.
Dann erhielt ich die Stellenausschreibung. Eine Freundin hatte sie mir weitergeleitet, und ich dachte: Ja, das könnte genau so ein Ort sein. Ich habe den Ort nicht initiiert, aber ich bin seit der Eröffnung dabei, es wurde ein ganzes Team gesucht, das diesen Ort gestaltet. Die Idee gab es schon vorher, und andere haben das möglich gemacht, unter anderem der Kiez, der den Raum zurück erkämpft hat, um ihn wieder für die Zivilgesellschaft verfügbar zu machen. Für mich war es ein riesiges Privileg, ohne großen Aufwand oder eigenes Geld hier einzusteigen und diesen Raum seit fünf Jahren mitzugestalten. Ja, es war auf jeden Fall ein schönes Gefühl.
Und wenn du ganz persönlich darüber nachdenkst – wenn du ein Symbol oder ein Wort für Freiheit wählen müsstest, was wäre das für dich?
Ich würde sagen, meine Definition von Freiheit hat sich im Laufe der Zeit stark verändert und wurde um verschiedene Aspekte bereichert. Eine Konstante ist jedoch das Gefühl von Lebendigkeit. Ein Gefühl von Lebendigkeit und Verbundenheit mit meiner Umwelt und den Menschen um mich herum, bei dem ich mich authentisch und lebendig fühle. Das würde ich als die beständige Konstante bezeichnen.
Welches Objekt hast du mitgebracht und was bedeutet es für dich in Bezug auf Freiheit?
Ich habe notgedrungen mein kaputtes iPhone mitgebracht. Eigentlich habe ich es nicht wegen des Besitzes eines iPhones dabei, sondern weil es kaputt ist, was für mich symbolisiert, wie wenig ich manchmal Objekte brauche. Ich fühle mich frei, wenn ich im Moment lebe, tief verbunden mit den Menschen und Orten um mich herum. In solchen Momenten brauche ich keine Dinge – ich vergesse sie sogar oft, wie mein Handy, das ich schon oft verloren habe. Diese Momente, in denen nur das Hier und Jetzt zählt, sind für mich Freiheit.
Würdest du das als sorglos beschreiben?
Ja, in solchen Momenten bin ich sorglos und angstlos, einfach im Moment und brauche nichts weiter. Das erinnert mich an meine Kindheit in den Bergen, wo wir wenig Spielzeug hatten und die Natur unsere Welt war. Diese Erfahrung hat sicherlich mein Verständnis von Freiheit geprägt.
Wie würde die 25-jährige Eva Freiheit definieren im Vergleich zu heute?
Mit 25 war ich sorglos, wahrscheinlich auch durch Privilegien, die ich damals noch nicht so reflektiert hatte. Heute fühle ich mich immer noch frei, aber die Sorglosigkeit ist einem Bewusstsein für die gesellschaftliche Realität gewichen. Ich weiß, dass Freiheit nicht für alle selbstverständlich ist, und das begleitet mich in jedem Moment.
Auf einer Skala von null (total unfrei) bis zehn (sehr frei), wo würdest du dich heute einordnen?
Ich würde sagen, dass ich mich in meinem Leben sehr frei fühle. Es gibt Momente, vor allem als Frau in bestimmten Strukturen, wo ich die Grenzen meiner Freiheit spüre. Aber insgesamt würde ich mich bei einer Acht einordnen.
Was möchtest du den Menschen, die dieses Interview lesen, in Bezug auf Freiheit mit auf den Weg geben?
Das ist eine schwierige Frage, aber ich denke, es ist wichtig, sich die Zeit zu nehmen, zu reflektieren, wo man sich wirklich frei fühlt, und sein Leben so zu organisieren, dass man dieses Gefühl oft erleben kann. Es ist auch wichtig, einen politischen Blick auf Freiheit zu haben und zu erkennen, dass wir manchmal mehr Freiheit genießen, als uns bewusst ist.
Wechsel der Perspektiven
Wie würdest du denn beschreiben, wie sich dein Gefühl von Freiheit gewandelt hat? Oder hat es sich überhaupt gewandelt?
Ja, das hat sich definitiv gewandelt. Besonders durch das Mutterwerden. Dinge, die ich früher für selbstverständlich gehalten habe, sind es jetzt nicht mehr. Der Tod meiner Mutter hat dieses Gefühl noch verstärkt. Obwohl sie körperlich eingeschränkt war, war sie in ihrem Kopf unglaublich frei. Diese innere Freiheit hat mich tief beeindruckt und ich frage mich oft, wie ich diese Freiheit an meine Tochter weitergeben kann.
Hat sich dadurch auch deine Sicht auf Freiheit verändert?
Früher war Freiheit für mich eher egoistisch, zum Beispiel sorglos tanzen zu gehen. Heute sehe ich Freiheit als etwas, das ich weitergeben kann, etwas, das auch in kleinen Gesten anderen Menschen das Gefühl von Freiheit gibt. Meine Mutter hat mich immer ermutigt, meinen eigenen Weg zu gehen, auch wenn es unkonventionell war. Dafür bin ich sehr dankbar.
Deine Eltern haben dir offenbar viel Vertrauen geschenkt, und das spiegelt sich in deiner Sicht auf Freiheit wider.
Ja, das stimmt. Es ist interessant, wie biografische Prägungen eine Rolle spielen. Meine Eltern kamen aus einer Arbeiterfamilie und für sie war mein Studium absurd, aber sie haben immer darauf vertraut, dass ich wusste, was richtig für mich ist.
Wie beeinflusst das deine Erziehung deiner Tochter?
Es ist eine große Aufgabe, ein Kind so zu erziehen, dass es frei ist, aber auch die Gefahren einschätzen kann. Ich bemühe mich sehr, meiner Tochter nicht zu viel Angst zu machen, damit sie ein freies Kind bleibt. Es ist eine ständige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit.
Das bringt die Frage mit sich, wo die Grenzen der Freiheit liegen.
Ja, das ist ein interessanter Kreis. Unsere Freiheit ist immer auch mit der Freiheit anderer verbunden, und das wird mir immer bewusster. Es war eine gute Erfahrung, diese Balance zu finden und auch Ängste zu überwinden.
Ja, vielen Dank dir. Vielen Dank dir, Sabine.
Danke für dieses wunderbare Gespräch mit dir, liebe Eva.
Reflexion
Mein Tag im bUm geht jetzt zu Ende. Ich und meine Tochter machen uns wieder auf den Weg. Das Gespräch mit Eva war intensiv und bereichernd. Ihre Einsicht, dass Freiheit auch Verantwortung bedeutet und dass wir unsere eigenen Freiheiten reflektieren müssen, sind mir besonders wichtig. Dieser Ort und das Gespräch mit Eva haben mich tief beeindruckt.
Persönliche Facts