Mein Vater und Frau K.

Wert: Respekt
Autorin: B.S. aus Lübeck

Mein Vater hat mich besonders im Alter sehr beeindruckt, als er sich – hochbetagt – liebevoll und unermüdlich um seine demente Frau, meine Mutter kümmerte. Er besuchte sie täglich auf der Demenzstation eines Pflegeheims und begrüßte ihre Zimmergenossin, Frau K., stets mit ausgesuchter Höflichkeit: „Guten Tag Frau K.“, sprach er in Richtung ihres Bettes und beugte höflich den Kopf dazu. Frau K. lag immer im Bett, entweder apathisch oder weinend oder schreiend mit verrutschtem Nachthemd und schien der Welt komplett entrückt zu sein.

Für mich war sie unerreichbar für Worte, für meinen Vater war sie eine alte Dame, die er mit großer Wertschätzung behandelte und immer noch vor meiner Mutter begrüßte. Schließlich war es auch ihr Zimmer, und er trat als Gast in ihr Zuhause ein. So lernte ich von meinem Vater Respekt für Frau K. und grüßte sie ebenfalls regelmäßig, wenn ich – viel seltener als mein Vater – zu Besuch kam. Mit der Zeit habe ich sie sogar lieb gewonnen. Das ging annähernd zwei Jahre so weiter, bis meine Mutter noch vor Frau K. verstarb.

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