Im Winter 1986 lernte ein Freund meines Vaters ein Mädchen aus Ost-Berlin kennen. Zu diesem Zeitpunkt war mein Vater erst 16 Jahre alt und wohnte in West-Berlin direkt an der Grenze. Er besuchte oft die DDR, um Bücher für die Schule günstig einzukaufen. Denn beim Grenzübergang an der Friedrichstraße war man gezwungen, 25 Westmark in 25 Ostmark umzutauschen. Dazu waren die Preise in der DDR deutlich günstiger und er konnte das übrige Geld nach den Einkäufen für ein paar mehr Bier in einer Kneipe nahe dem Übergang Friedrichstraße ausgeben. Eines Tages war mein Vater zusammen mit seinem Freund zu Besuch bei dem Mädchen aus Ost-Berlin. Sie lernten ihre kleine Schwester kennen, die gerade einmal sechs Jahre alt war. Die kleine Schwester war Typ-2-Diabetikerin und brauchte Insulin. Das Problem war jedoch, dass die Spritzen aus der DDR groß und gläsern waren, mit dicken Nadeln, die ausgekocht werden mussten. Für das kleine Mädchen aus der DDR waren diese der absolute Schrecken. Zurück auf der anderen Seite der Mauer kontaktierte mein Vater die Mutter eines Freundes. Sie war Apothekerin und hatte leichten Zugang zu den Einwegspritzen mit den dünnen Nadeln aus dem Westen. Er besorgte so viele Insulinspritzen wie möglich bei ihr und plante zusammen mit seinem Freund, diese in die DDR zu schmuggeln. Da es kurz vor Weihnachten war, wollten sie der kleinen Diabetikerin ein Geschenk machen und kauften noch einen Teddybären für sie. Bevor sie zur Grenze gingen, versteckten mein Vater und zwei Freunde die Insulinspritzen aus dem Westen in ihren Schuhen, Socken, Unterhosen und im Innenfutter ihrer Jacken. Unter dem Arm hatte mein Vater den Teddybären. Als sie an der Grenze waren, wurden sie von einem Grenzpolizisten herausgewählt. Der Grenzpolizist vermutete Schmuggel und nahm meinen Vater und seine Freunde ins Verhör. Der Grund dafür war der Teddybär, welcher an der Grenze ein ganz besonderes Aufsehen erregte. Im Verhör behaupteten die Polizisten, der Bär sei ein Zeichen des Kapitalismus, da er ja vom amerikanischen Präsidenten "Teddy" Roosevelt erfunden wurde. Für die Polizisten war die Einfuhr eines "kapitalistischen Teddybären" ein fragwürdiger Akt und mein Vater musste sich erklären, warum er diesen über die Grenze bringen wolle. Nach einer halben Stunde brachte ein Beamter den Teddy zurück zum Verhör. Sie hatten ihn komplett auf Schmuggelware untersucht, aber nichts gefunden. Mein Vater hatte bereits erklärt, dass dieser für ein kleines Mädchen als Weihnachtsgeschenk gedacht war und bat die Beamten im Geiste der Weihnacht ein Auge zuzudrücken. Diese gaben sich gnädig und ließen ihn und seine Freunde passieren. In der Unruhe, welche der Bär verursacht hatte, vergaßen die Grenzbeamten meinen Vater und seine Freunde weiter zu kontrollieren. Dank des Teddybären konnte das kleine Mädchen ihre Insulinspritzen bekommen, die deutlich angenehmer für sie waren.