Freiheit

Eine Kindheitserinnerung

Eine Kindheitserinnerung

Es war Oktober 1952, als meine Familie und ich uns auf den Weg in eine unbekannte Zukunft machten. Als zwölfjähriges Mädchen lebte ich unter der Unterdrückung des strengen Regimes der DDR. Ich kannte nichts anderes, doch durch Besuche bei Verwandten im Westen habe ich erfahren, wie es ist, frei zu leben. Ein Leben ohne die Fesseln der Kontrolle. Unsere Flucht war sorgfältig geplant worden. Meine Mutter hatte jedes Detail bedacht, um das Risiko, entdeckt zu werden, so gering wie möglich zu halten. Unser Zuhause begannen wir schon Tage zuvor, still und heimlich aufzulösen. Möbel wurden an Freunde verkauft, unsere Hühner wurden in der Dunkelheit aus dem Garten gebracht. Mit dem Erlös sollten wir die Zeit überbrücken können, in der wir uns bei Verwandten verstecken mussten. Unser Haus blieb leer zurück, ein stummer Zeuge unserer Flucht. Mein Vater und meine kleine Schwester waren bereits mit dem Zug vorausgereist, während meine Mutter und ich den Plan zeitversetzt umsetzten. Um die Grenze zu überqueren, mussten wir nach Berlin gelangen. Doch wir wussten, dass es zu auffällig gewesen wäre, direkt von Gera nach Berlin zu fahren. In einem Land, in dem schon der kleinste Verdacht zu einer Inhaftierung führen konnte, mussten wir vorsichtig sein. Also fuhren meine Mutter und ich zuerst nach Leipzig, von wo aus wir weiter nach Berlin reisten. Als wir endlich in Berlin ankamen, spürte ich eine Mischung aus Angst und Hoffnung. Die Grenze war zu dieser Zeit zum Glück noch offen, und wir konnten mit der U-Bahn nach Westberlin fahren. Die Möglichkeit der Freiheit lag zum Greifen nah, aber wir wussten, dass der Weg noch nicht zu Ende war. Sechs Wochen lang versteckten wir uns bei einer Cousine meiner Mutter in Westberlin. Schließlich kam der Tag, an dem wir unsere Heimat für immer hinter uns lassen mussten. Wir flogen mit einem Flugzeug nach Bayern, da wir nicht mehr mit Zug oder Auto reisen konnten. Überall war Polizei, bereit, jeden Flüchtling festzuhalten. Aber nun war der letzte Schritt getan, um ein neues Leben in Freiheit zu beginnen. Ich ließ die Vergangenheit hinter mir, wissend, dass ich nicht vergessen konnte, was wir aufgeben mussten. Unsere Heimat, unsere Freunde, unsere Identität - all das hatten wir für ein unsicheres Morgen aufgegeben. Heute, im Alter von 82 Jahren, erkenne ich, dass ich mit der Flucht auch eine Heimat verloren habe. Doch gleichzeitig bin ich meinen Eltern für immer dankbar, dass sie das Risiko eingegangen sind, uns ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Denn auch ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn wir in der DDR geblieben wären. Ich bin zutiefst dankbar dafür, dass ich die Chance bekommen habe, mein eigenes Leben zu gestalten.

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