Freundschaft

JA Spaghetti

JA Spaghetti

Während meiner Studienzeit lebte ich fünf Jahre in Nürnberg. Ich
hatte eine absurd große Schwäche für Hunde und so kam es, dass
ich in einen Deutsch-Moldavischen Tierverein eintrat, der monatlich
Tiere aus dortigen Tötungsstationen rettete um sie hier in deutsche
Familien zu vermitteln. Über diesen Verein lernte ich Christa kennen,
eine 75-jährige Frau, die sich als Pflegestation für die geretteten
Hunde einbrachte.

Über drei Jahre entwickelte sich eine seltsame Freundschaft,
die den immer gleichen Ritualen folgte: Einmal die Woche,
meist Mittwoch Vormittags, gegen 12 Uhr besuchte ich sie
in ihrer kleinen Ein-Zimmer Wohnung im Norden Nürnbergs.
Dort wohnte sie alleine mit ihrem Hund und ein bis drei
Pflegehunden. Die Wohnung war bescheiden und modern,
wie eigentlich alles an ihr. Im Geiste war sie wesentlich
jünger als auf dem Papier. Sie hatte ein bewegtes Leben,

ist früh von zu Hause ausgezogen, alleine durch die Welt
gereist, hat einen kriminellen Mann geheiratet und nach der
Scheidung das Interesse an der Liebe verloren. Meistens
verbrachten wir die erste Stunde meines Besuches damit,
dass sie Geschichten erzählte und dass ich bis ins kleinste
Detail nachfragte. Gegen 13.30 Uhr stand sie dann auf, ging
in ihre kleine Küche und bereitete dort, auf dem Gasherd,
das immer gleiche Essen zu: Spaghetti mit Tomatensoße.

Hierfür wurden 500gr passierte Tomaten der Marke „JA!“,
in einen Topf gegeben. Sobald die zähe Masse Blasen warf,
fügte sie einen halben Becher Sahne hinzu. Salz. Pfeffer. Ein
Blatt Basilikum. Zur Verdauung spazierten wir mit der varia-
blen Summe an Hunden um den Block. Ich erzählte von mei-
nem Studium, meinen Plänen, Zielen und Weltanschauungen
und sie kommentierte jeden noch so kleinen Auswuchs
meiner Gedankenwelt. Anschließend fuhr ich nach Hause.
Christa hat sich immer über meine Besuche gefreut, mich
behandelt als wäre ich ihre kleine Schwester. Ich glaube sie
mochte, dass ich das Leben noch vor mir hatte, dass ich die
Zeit hatte, zumindest potentiell noch etwas zu bewegen in
dieser Welt und dass sie, mit ihren Geschichten und Erleb-
nissen, ein Stück weit Teil davon sein konnte.

In dieser Wechselwirkung entstand eine Dynamik, die uns
auch nach vielen Treffen nicht langweilte. Als ich nach mei-
nem Studium nach Berlin zog wurden die Treffen rarer und
blieben irgendwann vollkommen aus. Die Verbindung war
auf Zeit ausgelegt, das macht sie allerdings nicht weniger
wertvoll.Das mollig warme Gefühl unser Freundschafts-Ri-
tuale, umrahmt von verhaltensgestörten Pflegehunden,
Tetrapack-Tomatensoße und endlosen Gesprächen in der
Schnittmenge unserer konträren Zeitpole ist für mich auch
heute, fünf Jahre nachdem ich sie das letzte Mal gesehen
habe, noch abrufbar.

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