Verantwortung

Vom Lichtfest in Leipzig

Vom Lichtfest in Leipzig

1989 war ich acht Jahre alt. Meine Eltern waren, soweit das ging, in der oppositionellen Bewegung aktiv. Ich kann mich besonders an den 9. Oktober erinnern. Zwei Tage vorher, zum 40.Jahrestag der DDR, gab es u.a. in Berlin und Leipzig Demonstrationen, die niedergeknüppelt worden. Der darauffolgende Montag sollte darüber entscheiden wie mit der immer größer werdenden Bewegung weiter umgegangen wird. Entweder kommt es zu Gewalt, von der chinesischen Lösung war die Rede, oder alles geht friedlich über die Bühne. Es waren Kampfeinheiten in Leipzig. Es wurden Blutkonserven im Krankenhaus zurechtgelegt. Keiner wusste was passiert. Meine Klassenlehrerin hat uns Kindern gesagt, wir sollen unseren Eltern sagen, dass sie nicht zur Demo gehen sollen. „Es könnte geschossen werden.“ Jemanden der acht Jahre alt ist, so was zu sagen ist krass. Meine Eltern sind, trotz aller Warnungen, nach Leipzig gefahren. Zur Montagsdemonstration kamen an diesem Tag über 70.000 Leute, die ihre Angst überwunden haben. Meine Tante hat auf meinen Bruder und mich aufgepasst. Später kamen meine Eltern total euphorisch wieder. Die Wochen darauf, als es sicherer war, haben sie uns an den Montagen mitgenommen. Ich kann mich an Demonstrationen mit 300.000 Leuten auf der Straße erinnern. Meine Eltern taten das für die eigene Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder. Alles schien jetzt möglich. Und das in einem friedlichen Prozess. Jetzt, 30 Jahre später, bin auch wieder auf Straße. Ich will die Dinge, die passieren nicht nur sehen, sondern verändern. So wie meine Eltern auch. Das hat was mit Werten, Empathie und einem Gestaltungswillen zu tun. Wir leben in einer der geilsten Demokratien der Welt. Und das sollten wir nutzen um uns einzumischen und mitzugestalten. Wir haben so viele Möglichkeiten. Ich frage mich immer wieder, unter welchen Umständen wieder so viele Menschen auf die Straße gehen würden. Fast genau 30 Jahre nachdem 300.000 Menschen in Leipzig demonstrierten, kamen 240.000 zur „Unteilbar“ Demonstration in Berlin. Es war bewegend zu sehen, dass soviele für eine lebendige Demokratie ein Zeichen setzen. Nach zwei Reise-Sabbaticals, die ohne den Einsatz und Mut meiner Eltern 1989 nicht möglich gewesen wären, habe ich für mich entschieden das Engagement im Rahmen gesellschaftsrelevanter Themen zu meinem Schwerpunkt zu machen. Ich möchte Zukunft mitgestalten, Verantwortung übernehmen und bin dankbar in einer Gesellschaft zu leben die das ermöglicht.

Weiterlesen

Das schöne Geheimnis
Das schöne Geheimnis