Ich komme ursprünglich mit meiner Familie aus der ehemaligen UDSSR. Damals haben wir nichts Anderes gesehen als Das und ich wollte es meiner Tochter ermöglichen, zu einem Pioniertreffen, in die DDR zu fahren, was uns damals sehr beeindruckte, die Pioniere mit ihren blauen Halstüchern usw. Ich habe innerhalb meiner Familie viel Geld gesammelt, um ihr diese Reise möglich zu machen. Zuerst wollte sie gar nicht dort hin, wollte lieber zu Hause bei ihren Freundinnen bleiben, doch als sie dann zurück kam, war sie ein ganz anderer Mensch. Sie traf viele Kinder aus unterschiedlichen Ländern, was etwas ganz Anderes war, als das Bisherige, was sie von dem kleinen Dorf kannte, in dem wir damals lebten. Sie hat sogar ein blaues Halstuch bekommen, weil die Kinder untereinander getauscht haben. Jahrelang hat sie es noch aufgehoben. Durch diese Reise bekam sie einen ganz anderen Blickwinkel und sie begann mit viel Ehrgeiz zu lernen. Neulich habe ich das alte Zeugnis von ihr, in meinen Sachen, wiedergefunden und sah, dass sie wirklich alles Fünfen hatte, was ja in der UDSSR soviel die Einsen in der DDR war! Leider ist dann ja alles in der ehemaligen UDSSR zusammen gebrochen. Da wir keine guten Beziehungen oder Geld hatte, war es später sehr schwierig, sie an die Hochschule zu bekommen, meine Tochter wurde trotz des sehr guten Zeugnisses nicht angenommen. Sie wurde einfach nicht zugelassen, obwohl sie so ein heller Kopf war! Doch dann haben wir auf einmal eine Einladung bekommen, dass wir nach Deutschland umsiedeln können, da mein damaliger Mann Jude ist, und es mein oberstes Ziel war, dass unsere Tochter studieren kann. Das hat aber noch ein paar Jahre gedauert, erst 2001 konnten wir nach Deutschland. Sie hat dann an der Uni studiert, Wirtschaftsmathematik und das erfolgreich beendet. In der Zeit dazwischen ist in der ehemaligen UDSSR alles zusammen gebrochen. Alle Beziehungen zu den Ländern, zu denen wir wirtschaftliche Verbindungen gepflegt haben und auch mein Betrieb, sind kaputt gegangen. Das war ca. 1989/90. Wir haben keinen Lohn mehr bekommen. Meine Mutter hatte mich dann zu sich, in den damaligen noch Westen, nach Hannover, eingeladen, was ich zuerst nicht annehmen konnte, weil mir das Geld für den Bus gefehlt hat. Ich habe ein halbes Jahr lang keinen Lohn bekommen und wir haben von Dem aus unserem Garten gelebt und was wir getauscht haben. Ich war ja schließlich Ingenieurin und konnte nicht mehr in meinem Beruf und meinem Betrieb arbeiten. Meine Mutter hat mir dann die Reise bezahlt, für sie war es unglaublich in welchen Verhältnissen wir mittlerweile in der Ukraine lebten. Für meine ehemaligen Kollegen und Kolleginnen war es ebenfalls eine extrem schwere Zeit. Einige von den Männern, haben sich sogar das Leben genommen, weil sie nicht mehr mit der Situation zurecht gekommen sind. Das war wirklich sehr schlimm. Ich habe dann alle möglichen Jobs gemacht, genäht, geputzt und Haare geschnitten, selbst mit meiner Tochter zusammen haben wir bei Leuten tapeziert. Später habe ich Menschen und Kindern geholfen, die von Tschernobyl betroffen waren und habe sie im Alltag unterstützt, so eine Art soziale Arbeit habe ich da gemacht. Niemals haben wir gedacht, dass die UDSSR und die DDR so kaputt gehen werden. Ich habe das dann fast 10 Jahre lang gemacht und erst die letzten 2-3 Jahre habe ich wieder in einem Betrieb für Kühlgeräte, als Technische Zeichnerin, gearbeitet. Ich wollte dann unbedingt, dass meine Tochter eine bessere Zukunft hat, als das was sie hier erwartet hätte und wir sind dann schließlich 2001, als Familie, nach Deutschland umgesiedelt. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, sehe ich, dass ich durch diese schwierige Zeit, stärker geworden bin. Heute unterstütze ich Menschen, die Hilfe brauchen, dann übersetze ich ins Deutsche. Ich kann seitdem Menschen, die in Not sind einfach noch besser verstehen und habe mehr Empathie entwickelt. Seitdem kann ich auch viel mehr schätzen, was ich im Leben habe, dadurch, dass wir alles verloren haben, was wir uns aufgebaut hatten. Am Wichtigsten sind mir aber meine Familie und die Gesundheit geworden, im Gegensatz zu meinen früheren Werten, die eher materialistisch ausgerichtet waren. Ich bin sehr froh, dass es meiner Tochter hier gut geht, aber eine gewisse Trauer ist immer noch in mir, denn schließlich ist der Rest meiner Familie in der Ukraine zurück geblieben.