Meine Eltern waren schon immer sehr unterschiedlich. Meine Mama war eher die Verrückte. Die wollte was erleben. Sie betrieb eine Modeboutique und hat später noch eine Ausbildung zur Bauchtänzerin gemacht. Papa war der Genaue und Korrekte. Alles musste seine Ordnung haben. Sein Studium hat er als Rechtshelfer abgeschlossen. Die Wende war für Papa aber ein krasser Einschnitt. Seine Ausbildung und Arbeitserfahrungen waren über Nacht nichts mehr wert, auch wenn ich nicht verstand, warum. Während meiner Grundschulzeit hat Papa dann alle möglichen Jobs gemacht. Er war Taxi-Fahrer, hat in der Boutique von Mama geholfen und war Kahnfährmann auf der Spree. Das Geld wurde jedoch knapper. Das war die Zeit, wo das mit der Stasi rauskam. Als Kind habe ich das an der Größe des Aquariums bemerkt. In der alten Wohnung hatten wir ein großes Aquarium, das den Raum geteilt hat. Mein Vater hat sich sehr liebevoll darum gekümmert. Zur Wende mussten wir dann unsere Wohnung verlassen. Die Modeboutique ist auch pleite gegangen. Das war die Zeit, wo rauskam, dass Papa bei der Stasi war. Und auf einmal waren wir in einer kleinen Wohnung – ich hatte ein kleines Aquarium in meinem Zimmer, das ich mir mit meiner Mama geteilt habe. Das war der Untergang der Beziehung meiner Eltern. Die offizielle Trennung kam jedoch erst Jahre später, das hätte in der Gesellschaft sonst schlecht „ausgesehen“. Mein Papa will sich nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Er trägt von der mütterlichen Seite diese konservative Tradition in sich-sowie viel Schmerz und noch immer anhaltende Existenzängste. Unbehagen gegenüber dem Neuen, dem Fremden. Ich glaube, er würde sich gerne aus Zwängen befreien. Wenn ich frage, ob er sich nicht bei der Aufarbeitung helfen lassen will, ist das ein absolutes No-Go. Für ihn bedeutet das, dass man krank und gestört ist. Die Generation reflektiert einfach zu wenig, was da passiert ist – auch meine Mutter nicht. Darin liegt vielleicht zu viel Schmerz. Mein Vater war und bleibt regelkonform – meine Mutter, die Freie, die immer mehr wollte. Aufgearbeitet haben die Vergangenheit allerdings beide nicht.