Mein Name ist Ruth, ich bin 1937 in Westerhausen im Kreis Quedlinburg geboren, zwei Jahre vor Beginn des 2. Weltkrieges. An die Bomben und Sirenen erinnere ich mich noch gut, das war immer furchtbar. Erst kam die Leuchtmunition, mit der haben sie die Abwurfstellen ausgekundschaftet. Das sah aus wie große, leuchtende Tannenbäume am Himmel. Und dann das Geheul der Sirenen. Wir sind dann immer in den Keller geflohen, bis wir hörten, dass die Sirenen ausliefen. Das war immer so ein langgezogener Ton. Dann konnten wir wieder raus. Bis heute noch ist dieser Sirenenton der gleiche, egal ob bei Feueralarm auf den Dörfern oder wie dieses eine Jahr, als dieser Notfallton für die Bevölkerung getestet wurde. Das hat mich wieder zurückversetzt in die Vergangenheit. Da bekomme ich immer noch Angst, wenn ich das höre. Auch an den Hitler, den Doofen, muss ich immer noch denken. Das hab ich schon als Kind nicht verstanden, warum wir die Uhren umstellen mussten, von Sommer- auf Winterzeit und andersrum. Da hab ich mir immer gedacht "Was soll der Mist". Immer, wenn ich heute die Uhr umstellen muss, kommt mir der doofe Hitler wieder in den Sinn. Der ist aber im Krieg geblieben und wurde für tot erklärt, weil keiner wusste, was mit ihm passiert war. Das sind so Dinge, die ich aus meinem Gedächtnis raushaben möchte, es geht aber nicht. Es bleibt in meinem Kopf. Als ich in der Schule war, mussten wir immer die Hand heben zur Begrüßung. Guten Tag! Und dann die Hand hoch. Und wir mussten uns immer mit Politik beschäftigen. Es gab die Auszeichnung für den besten Lehrling des Lernaktivs, also wenn man gut genug war, dann bekam man diese Auszeichnung. Ich hab die auch einmal bekommen, ich hab ja alles mitmachen müssen, auch wenn ich nicht für dieses Regime war. Man musste ja immer. Ich hab dann eine Buchprämie bekommen; "Wie der Stahl gehärtet wurde", also wieder Politik. Ständig wurden wir damit bombardiert. In der Schule haben wir auch Filme geguckt über politische Sachen und mussten hinterher Aufsätze darüber schreiben. Aber ich wollte mich ja mit Politik überhaupt nicht beschäftigen, ich wollte das alles nicht. Aber wir mussten ja, das fand ich furchtbar. Bei Wahlen mussten wir in Gruppen von der Schule aus von Haus zu Haus gehen und die Leute daran erinnern, jeder musste ja zur Wahl, das war Pflicht gewesen. Wenn jemand gesagt hatte, er wollte nicht, dann mussten wir immer sagen, wie gut es doch in der Ostzone war. Ich hab mich da immer so falsch gefühlt, ich hab das ja selber nicht geglaubt. Meistens war ich ja auch der Meinung von diesen Leuten, gegen das Regime, aber ich musste mitmachen. Ich hab mich da immer im Hintergrund gehalten, bin ganz hinten gewesen, hab aber kein Wort gesagt. Wir mussten ja agitieren, so hieß das, das war das wichtigste. Am 17. Juni 1953, da war der Aufstand. Da wurde mir klar, ich muss hier weg. Ich muss rübermachen. Alles an der DDR machte mich wütend. Ich hasste die Politik. Ich hasste das Regime. Ich hasste es, dass ich mich überall mit der Politik beschäftigen musste. Ich wollte das nicht. Ich wollte das alles nicht mehr. Und der Aufstand hat mir gezeigt, dass ich endlich weg muss. Es war Zeit.