Offenheit

Geklaut

Geklaut

Sie war erst seit wenigen Wochen bei uns. So lange hatte ich auf diesen Moment gewartet, und nun war sie da. Ein kleiner gelb-goldener Fellball mit riesigen Pranken und schwarzen Augen, die einem bis in die Seele blickten. Ich saß am Küchentisch und erledigte meine Hausaufgaben. Von unter dem Tisch her kam ein leises Schnarchen. Da klingelte es an der Tür. Abrupt verstummte das Schnarchen. Sie war mit dem Geräusch unserer Türklingel noch nicht sehr vertraut. Ich legte meinen Füller beiseite und ging an die Tür, um das Paket des Postboten entgegen zu nehmen. Wieder in der Küche empfing sie mich freudig. Sie lag auf dem Boden und kaute auf etwas herum. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich meinen Füller, sie musste ihn sich vom Tisch geangelt haben. Wie auch immer sie das geschafft hatte … Lachend nahm ich ihr den vollgesabberten Füller aus dem Maul. Beim Abwaschen fielen mir die kleinen Zahnabdrücke auf. Sie hatte ihn nicht durchgebissen, obwohl sie wahrscheinlich schon die Kraft dazu gehabt hätte, aber sie hatte lediglich darauf herumgekaut und mit ihren Milchzähnen kleine Kerben hinterlassen. Meine Eltern konnten nicht verstehen, warum ich die Situation so lustig fand, oder warum ich immer grinsen musste, wenn ich den angekauten Füller in meiner Federtasche sah. Inzwischen schmiert der Füller und das Griffteil steckt im Deckel fest, aber ich bringe es einfach nicht übers Herz, den Füller und damit die Zahnabdrücke meines kleinen Engels wegzuwerfen.

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Die Jugendlichen
Tischgemeinschaft