Freiheit

Kawarau Snoopy

Kawarau Snoopy

Der Kawarau ist ein Fluss in Neuseeland, der gerne von Wildwasser-Kajakern befahren wird. Wildwasser, im Englischen auch White Water genannt, ist die Sportart, die meine Freundin Petra so sehr liebt. Auch ihr weißer Schäferhund heißt Kawarau.
Kawarau liebt Petra mindestens so sehr wie Petra das Wildwasser liebt. So ist Kawarau meines Wissens nach der einzige weiße Schäferhund, der sogar schon auf Deck eines Wildwasserkajaks von seinem Frauchen behutsam und liebevoll über das Wasser transportiert wurde. Man sah mehr weißes Flauschfell als Kajak. Ein herrliches Bild. Als ich Petra das letzte Mal besuchte, ist Wildfang Petra sehr an ihren Garten und ihr Haus gebunden. Dies betrifft schon länger ihre Urlaube – und nun auch unsere gemeinsamen Treffen. Denn Kawarau ist mittlerweile alt geworden und ihr weißes Fell hebt sich nun in langsamen, ruhigen Atemzügen auf und ab und ab und auf von ihrer kleinen Kuscheldecke. Kawarau schläft nun sehr viel. Als Tierärztin achtet Petra sehr auf ihre Ernährung, lebt meist vegan. Das macht es für mich nicht einfacher mit der Bewirtung, denn ich möchte mich nicht immer auf ihre Kosten bei ihr einladen. Im Gegensatz zur wilden Petra liebe ich in meinem Kajak die Ruhe der Natur, die Weite des Meeres … Stundenlanges Paddeln hat schon fast etwas Meditatives für mich – dort erhole ich mich vom Trubel des Büroalltags, wo ich als Sekretärin ständig mit Menschen zu tun habe und mittags auf die Schnelle unsere Kantine besuche. Trotz unserer Gegensätze hat Petra immer mehr in mir gesehen als alle anderen. Aus dem Kajakverein bin ich mittlerweile ausgetreten. Die Freundschaft mit Petra hat gehalten. Als nicht kochendes Organisationsta lent freue ich mich umso mehr, für unser Treffen ein Lokal mit biologischen und veganen Speisen zu finden - nur 10 km von ihrem Garten entfernt. Mit Kawa rau und ihrer Kuscheldecke im Gepäck lade ich sie dorthin ein. „Petra, ich hab‘ mir ‚‘nen regionalen Bio-Hamburger bestellt“, fällt mir erst nachher auf …. Ist das jetzt eklig für dich? Soll ich das ändern?“ „Aber nein“, sagt Petra. „Kawarau isst doch auch Fleisch. Und meine Entscheidung habe ich doch für mich getroffen.“ Ich muss zugeben, dass mir das Lokal, in das ich ohne Petra nie gegangen wäre, sogar richtig gut gefällt und das Essen wirklich schmeckt. Zwei Wochen später sitze ich in Lübeck erneut in einem bio-vegetarischen Lokal, dieses Mal mit meinem Mann auf dem Weg in den Urlaub. Wenige Stunden vorher hat mich die Nachricht erreicht, die ich erwartet und trotzdem so gefürchtet habe. Kawarau ist ein letztes Mal eingeschlafen. Petras Welt hat nun plötzlich wieder die große Freiheit. Freiheit für viele neue Kajakabenteuer auf den Flüssen dieser Welt. Eine Freiheit, die sich in meinen Augen ohne Kawarau erst einmal wie eine riesengroße Leere anfühlt. Und ich bin nicht da. Die Fähre ist gebucht. „Bitte genieß deinen Urlaub, Sabine“ schreibt mir Petra „Ich bin glücklich, wenn du glücklich bist …“ Meine Gedanken wandern trotzdem immer wieder zu Petra. „Liebe ist nicht, jemanden zu binden, sondern ihm die Freiheit zu geben, bleiben zu wollen“, bringt auf den Punkt, was ich für diejenige fühle, die bedingungslos mit Kawarau durch alle Lebenslagen gegangen und gepaddelt ist, die mich mit all meinen Schwächen annimmt wie ich bin - ohne zu fordern - und trotzdem einen besseren Menschen aus mir macht, weil sie ist, wie sie nun einmal ist.

Weiterlesen

Mauerstück
Mauerstück