Christian Awe über Freiheit

Christian Awe über Freiheit

Ein Dialog über die Freiheit der Farbe und den Mut zum Sprung

Im pulsierenden Herzen seines Berliner Ateliers, umgeben von einem Meer aus Farben und Leinwänden, trafen wir den Künstler Christian Awe. Seine Geschichte ist eine fesselnde Reise von der Street Art im Ost-Berlin der Nachwendezeit bis hin zu internationalen Kunstprojekten. Es ist ein Gespräch über den Mauerfall als kreativen Urknall, die tiefe Bedeutung von Farben und den einen Moment, der alles veränderte.

Der Link zum Podcast.


 

Der Anfang: Ein Fingerabdruck in einer Welt im Wandel

Christian Awes künstlerische Reise begann mit einem historischen Ereignis. "Als die Mauer fiel, war ich gerade elf, zwölf, und plötzlich zerbrachen diese ganzen Strukturen", erinnert er sich. Im Frühjahr 1990 beobachtete er von seinem Kinderzimmer aus, wie Graffiti-Künstler aus ganz Europa das S-Bahn-Depot vor seiner Haustür in ein riesiges Kunstwerk verwandelten. Das war sein erster Kontakt mit einer neuen, aufregenden Form des kreativen Ausdrucks.

Von der Hauswand ins Atelier

Was mit dem Sprayen des eigenen Namens begann, entwickelte sich schnell weiter. Doch es war nie die Illegalität, die ihn reizte. "Mich faszinierte das Miteinander und irgendwie meinen Fingerabdruck in einer Gegend zu hinterlassen", erklärt er. Aus kleinen Anfängen wurden bald Auftragsarbeiten für Geschäfte und Wohnungsbaugesellschaften. Diese frühe Erfahrung, im öffentlichen Raum zu gestalten, legte den Grundstein für seinen späteren Weg zum Kunststudium bei keinem Geringeren als Georg Baselitz.

 


 

Der Sprung: Ein Moment der Entscheidung

Jede große Reise hat einen Wendepunkt. Für Christian Awe war es ein Moment purer Angst und Entschlossenheit während seines Sportstudiums. "Ich musste vom 10-Meter-Turm springen. Ich bin da hoch, hab da runtergeguckt und gesagt, nee, das mache ich nicht." Der Moment, als er wieder unten stand, wurde zur Metapher für sein Leben. Er wusste: Wenn er jetzt nicht springt, wird er es nie tun.

Er stieg wieder hoch – und sprang. Dieser Sprung ins kalte Wasser gab ihm den Mut, sich für drei Jahre voll und ganz der Kunst zu widmen. "Seitdem habe ich nicht zurückgeguckt." Es war der Beginn seiner kompromisslosen Reise als Künstler.

 


 

Die Sprache der Freiheit: Farbe

Wenn Christian Awe über Freiheit spricht, spricht er über Farbe. "Farbe ist Lebensenergie für mich, verkörpert sie Freiheit, Kraft und Liebe", sagt er. Sein Verständnis ist tief und vielschichtig, verwurzelt in Geschichte und Emotion.

Die Kraft von Rot, die Weite von Blau

Er erklärt, wie die Farbe Rot, historisch aus teuren Purpurschnecken gewonnen und daher ein Symbol der Macht, heute sowohl für Liebe als auch für Autorität steht. Doch seine persönliche Farbe der Freiheit ist Blau. "Blau als Farbe des Himmels, als Farbe des Meeres, als Farbe des Friedens", schwärmt er. Es ist nicht nur ein Blau, sondern eine ganze Palette – "eine Bandbreite von sehr hellem Blau bis Türkis, mintig – wo ich gerne reinspringen möchte und mich komplett frei fühle."

 


 

Kunst als Brücke: Dialog über Grenzen hinweg

Awes Kunst hat ihn um die ganze Welt geführt und ihm gezeigt, welche verbindende Kraft sie hat. Kurz vor dem Ukraine-Krieg vollendete er ein gewaltiges Wandbild im russischen Samara. Über 1.000 Menschen nahmen an den begleitenden Workshops teil. Diese Erfahrung hat seine Überzeugung gestärkt: "Kultur schafft Brücken. Es ist ganz wichtig, dass wir auch Russland und die Menschen dort weiter durch Sport und kulturellen Austausch zusammenbringen."

Räume der Begegnung schaffen

Heute konzentriert sich Christian Awe darauf, genau solche Räume der Begegnung zu schaffen, auch in Berlin. "Was ich gerade versuche zu schaffen, ist ein Ort, wo die diversen Menschen zusammenkommen – unterschiedlicher Religionen, Erfahrungen, politischen Richtungen. [...] weil ich denke, 1 plus 1 ergibt in dem Fall 3. Mindestens."

 


 

Fazit: Die Freiheit der eigenen Handschrift

Christian Awes Weg ist ein kraftvolles Plädoyer für die Freiheit, den eigenen Weg zu gehen und eine unverwechselbare Stimme zu entwickeln. Er weiß, dass dies harte Arbeit erfordert – die berühmten "10.000 Stunden" – und den Mut zur Eigenart. "Man liebt jemanden nicht für den Durchschnitt. Man liebt jemanden für seine Eigenart."

Für ihn ist die Rolle des Künstlers in einer Demokratie essenziell, denn Künstler sind oft diejenigen, die unabhängig bleiben und der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten können.

"Freiheit heißt für mich, das Leben in diesem demokratischen Rahmen so zu leben, wie ich es für richtig halte. Inklusive Reisen, Begegnungen, sich das Leben so zu gestalten." 

 

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