Gregor Hagedorn: Freiheit, Verzicht und die Transformation unserer Zukunft
In den ehrwürdigen Hallen des Museums für Naturkunde in Berlin, umgeben von der Geschichte des Lebens auf unserem Planeten, trafen wir Dr. Gregor Hagedorn zum Dialog. Als akademischer Direktor und Mitgründer von Scientists for Future stellt er sich den drängendsten Fragen unserer Zeit. Es wurde ein tiefgründiges Gespräch über die Nachhaltigkeit, die Grenzen unserer Gewohnheiten und warum wahre Freiheit im Angesicht des Klimawandels vielleicht etwas völlig anderes bedeutet, als wir denken.
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Der Anfang: Wenn Daten allein nicht mehr reichen
Als Biologe und Informatiker war Gregor Hagedorns erster Ansatz zur Bewältigung der Biodiversitätskrise ein wissenschaftlich-logischer. "Wenn irgendwo viele Dinge schief gehen, dann ist erstmal ein plausibler Ansatz, dass man sagt, okay, wenn wir mehr Daten haben, können wir das besser managen", erklärt er. Doch über die Jahre wuchs die Erkenntnis, dass die Flut an Daten über schmelzende Gletscher und sterbende Arten nicht automatisch zur notwendigen Handlung führt. Die größte Herausforderung liegt nicht im Wissen, sondern in unserer menschlichen Natur.
Was ist Freiheit wirklich? Eine notwendige Neudefinition
Im Zentrum der Debatte steht oft ein missverstandener Begriff von Freiheit. Hagedorn stellt klar: "Es geht nicht um Willkür. Freiheit bedeutet, tun zu können, was man will, aber in einem Rahmen, der auch die Freiheiten anderer respektiert." Unsere persönliche Freiheit endet dort, wo sie die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen oder anderer Menschen auf diesem Planeten zerstört. Sie ist keine absolute Größe, sondern ein ständiger gesellschaftlicher Aushandlungsprozess.
Die Macht der Gewohnheit: Unser größtes Hindernis
Warum fällt uns Veränderung so schwer, selbst wenn wir ihre Notwendigkeit verstehen? Hagedorn identifiziert die Macht unserer Gewohnheiten als zentrales Hindernis.
"Wir haben Gewohnheiten und wenn wir unsere Gewohnheiten ändern müssen, wenn wir sie nicht durch freiwillige Vorsätze ändern, sondern vielleicht wirklich durch Dinge, die anders werden, dann sind wir erst mal richtig angegriffen."
Diese gefühlte Einschränkung ist eine der größten Hürden auf dem Weg zur notwendigen gesellschaftlichen Transformation.
Ein Gedicht als Symbol: Wo Verzicht zum Gewinn wird
Als Symbol für sein Verständnis von Freiheit brachte Hagedorn kein Objekt mit, sondern ein selbst geschriebenes Gedicht. Diese Zeilen fassen seine Philosophie auf beeindruckende Weise zusammen:
"Im Sterben Aufstand,
im Vergehen Neubeginn,
im Untertauchen Atem holen,
im Verzicht Gewinn."
Hier offenbart sich ein radikal anderes Freiheitsverständnis. Es ist eine Freiheit, die nicht auf materiellem Besitz oder grenzenlosem Konsum beruht, sondern auf Akzeptanz, bewusstem Verzicht und der Erkenntnis, dass im Loslassen ein ungeahnter Gewinn liegen kann.
Die große Verwechslung: Luxus ist nicht Freiheit
Hagedorn weist auf eine zentrale Verwechslung in unserer Gesellschaft hin: "Wir verwechseln manchmal Luxus und Freiheit." Ein Flug in den Urlaub, das neueste Smartphone – wir deuten diese Dinge als Ausdruck unserer Freiheit, obwohl sie oft nur kurzlebiger Luxus auf Kosten des Planeten sind. Er schlägt einen bewussteren Umgang vor: Jeder könnte sich einen persönlichen "Luxusbereich" definieren, den er sich leistet, während er in anderen Lebensbereichen bewusst nachhaltiger agiert.
Die Verantwortung der Wissenschaft und die Hoffnung auf Wandel
Trotz der gewaltigen Herausforderungen strahlt Hagedorn einen pragmatischen Optimismus aus. Er glaubt an die Fähigkeit des Menschen zur Veränderung. "Wir können uns ändern. Wir müssen nicht trübselig irgendwo zuhause sitzen bleiben. Sondern wir können ganz spannende Dinge erleben. Vielleicht auch miteinander viel mehr erleben."
Als Wissenschaftler sieht er sich in der Verantwortung, unbequeme Wahrheiten auszusprechen und die Menschheit mit den Konsequenzen ihres Handelns zu konfrontieren – auch angesichts wachsender Anfeindungen. Es erfordert Mut, aber er ist überzeugt, dass es sich lohnt.
"Das Wichtigste ist, dass wir als Menschen die Gegenwart hinterfragen. Und das fällt uns natürlich schwer. Das ist anstrengend. Auch unbequem."
- Dr. Gregor Hagedorn