Zusammenhalt

Aus Erinnerungen

Aus Erinnerungen

Meine Schritte tragen mich durch grünes Leuchten. Neben mir erstreckt sich ein durch Wälder und Höhenzüge geprägtes Landschaftsbild. Ein Windzug streift die Blätter der Bäume und versprüht den Geruch des Rapses, der die Felder bedeckt. In der Harmonie, die mich umgibt, bleibe ich stehen und mit mir die Zeit. Der Weg, auf dem ich mich befinde, hält jene Zeit fest, umgeben von Stacheldrahtzäunen, Wachtürmen, Beobachtungsbunkern und Beleuchtungsanlagen. Hier zeichnet sich ein Teil der damaligen Spaltung Deutschlands ab. Denn hier zwischen Teistungen und Duderstadt, befindet sich einer der ehemals innerdeutschen Grenzübergange von Ost- nach Westdeutschland. Meine Oma, Resi Margarete Wenzl, wurde am 12. März 1940, fünf Jahre vor Ende des zweiten Weltkrieges, in Breitenworbis geboren. Das Dorf im Eichsfeld liegt etwa 16 Kilometer von der Grenze entfernt. Im Sommer 45, kehrt ihr Vater, mein Uropa Seppel, aus der russischen Gefangenschaft zurück. Ja ja ja. Die sind da ausgerissen. Die hatten Riesenglück, dass die nicht wieder gefangen genommen wurden. Sonst wären die gar nicht mehr nach Hause gekommen. Ja dann hat er sich politisch hier im Ort eingesetzt, sich durchgebissen. Mein Uropa ist erst Kulturleiter, dann Bürgermeister. Er setzt sich für die Bewohnerinnen und Umsiedlerinnen ein, organisiert die Lebensmittelverteilungen und fährt zu Kreistagsversammlungen stellvertretend für das Eichsfeld. 1954 beendet meine Oma die Schule, da ist sie gerade mal 14 Jahre alt. Ein Leitbild der DDR lautet „Achtet die Arbeit“. Ihren Traumberuf zur Säuglingsschwester in Gotha kann sie nie erfüllen: Gab keine Unterkünfte, keine Jugendherbergen. Die Leute hatten alle selber zu tun, da waren die Häuser kaputt. Es gab ja nichts. So bin ich Verkäuferin geworden. Der Alltag läuft, wie sie beschreibt, einfach normal. Was soll man sich da aufregen, dann waren wir auch noch jung. Dann hat man das alles auch nicht so... klar meckerst du auch mal rum, aber ansonsten. Wir haben gelebt, wir hatten Essen und Trinken, uns hat keiner was getan. Der Zusammenhalt, das war in Ordnung. Die Sehnsucht, die das Leben meiner Oma wiederkehrend durchzieht, ist weder der Wunsch nach mehr Freiheit nach mehr Materiellem nach einem anderen Regime oder einem anderen Leben, sondern liegt außerhalb der DDR-Grenzen in Frontenhausen, einem Dorf in Bayern, Westdeutschland. Ihre Kindheits-und Jugenderinnerungen vor der Teilung tragen die Wärme in ihren Erzählungen von der lieben Oma, dem Opa der wie ihr Vater gewesen sei, Cousins und Cousinen, der großen Bäckerei ihrer Großeltern. Wenn Vater kein Bürgermeister gewesen wäre, dann wäre ich vielleicht heute auch in Bayern. Ich wäre so gerne damals schon dageblieben, aber meinem Vater zuliebe hab ichs nicht gemacht, weil der wieder zurück und sonst hätten sie den eventuell eingesperrt, wenn ich nicht mehr wiedergekommen wäre. Ja sind ganz viele dageblieben oder die schwarz über die Grenze sind, die gar keine Genehmigung hatten. Was denkst du wie viele über Teistungen abgehauen sind. War ja Grenze. Die sind abends ab, durch den Wald. Die haben immer irgendwas gefunden, wie sie da hinkamen. Und da fragt dann auch kein Mensch mehr. Naja. Es war einmal. Als ihr Vater krank wurde, beantragten sie eine Reise nach Bayern. Ich fand ein Visum in ihrem DDR-Ausweis, ausgestellt für den 12.11.89, drei Tage nach dem Mauerfall. Uropa Seppel war aber schon zu krank, um die gemeinsame Reise antreten zu können. Er starb kurz darauf am 15.12.89 und konnte seine Familie nicht mehr wiedersehen. Meine Oma Resi ist mit ihrer Familie in Breitenworbis geblieben. Was ich schreibe, sind nicht meine Erfahrungen, nicht meine Gefühle, nicht meine Erlebnisse. Ich habe sie nicht erfunden, ich leihe es mir nur aus und gebe sie in die Gesellschaft zurück. Denn Geschichten sind das, was wir teilen können. Sie können der Zugang sein für Austausch und für Reflexion, denn sobald wir etwas öffentlich teilen, geschieht etwas. Die Zeit, das Leben, die Gefühle und der Alltag der Deutschen Demokratischen Republik finden durch Geschichten unserer Großeltern, Eltern, Verwandten und Bekannten zurück in das jetzt. Wenn wir über die DDR und den damalig vorherrschenden Sozialismus sprechen, sagt Oma: war manchmal besser als heute. Heute ist sich jeder selbst der Nähste. Darüber denke ich oft nach.

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