Selbstverwirklichung

Das Reißbrett meines Vaters

Das Reißbrett meines Vaters

Mein Vater arbeitete von 1983 bis 1990 als Konstrukteur für Sondermaschinenbau bei der VEB Tisora auf der Fürstenstraße in Karl-Marx-Stadt (jetzt Chemnitz). Die Anstellung im Betrieb bekam er irgendwie „durch Beziehungen“. An einem solchen Reißbrett machte er Entwürfe für Maschinen für den Textilmaschinenbau. Daher ist das Objekt für mich ein Ausdruck der Selbstverwirklichung meines Vaters. 1990 dann die Wende, die die ersehnte Freiheit endlich (er)lebbar machen sollte. 1990 führte aber auch zu Liquidation des VEB Tisora und zur Entlassung meines Vaters. Er kaufte sich dieses Reißbrett aus der Liquidationsmasse des Betriebes, um zu Hause eventuell weiter konstruieren zu können. Es folgten 9 Jahre Arbeitslosigkeit und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Mein Vater meldete in dieser Zeit weiteres Patent an und bekam dafür eine Umweltauszeichnung der Stadt. Zu einer Anstellung führte dies aber nicht. Er fand erst wieder 1999 Arbeit – „durch Beziehungen“. Für mich als Kind und Jugendliche war das alles Glück im Unglück. Wir holten meinen Vater oft vom Betrieb in der Fürstenstraße ab und ich wünschte mir immer sehnlichst, dass er mal aus dem Fenster schaut und endlich rauskommt. Nach seiner Entlassung 1990 war er nun viel mehr da. Es standen Umzüge nach Süddeutschland im Raum, aber wir blieben in Chemnitz. Von hier aus startete ich dann meine eigene Selbstverwirklichung. Ich denke, dass Objekt steht stellvertretend für viele Lebenswege der Generation meines Vaters. Die Grenzen waren 1990 zwar weg, aber ohne Arbeit und Geld war Freiheit in der Realität wieder nicht erreichbar. Dazu das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, obwohl man doch etwas kann. Kränkungen, die sicher nicht nur in der Biografie meines Vaters Spuren hinterlassen haben.

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