Selbstverwirklichung

Innerer Frieden

Innerer Frieden

Ende der 80er arbeitete ich beim VEB Textima-Elektronik im Bereich EDV-Organisation. Es sollte ein großes Schaltkreiszentrum errichtet werden, in dem der 1. 1 - Megabit - Speicher der DDR hergestellt werden sollte. Die Bauarbeiten waren in vollem Gange, die Gebäude standen bereits, die Medien (Luft, Wasser, Strom) lagen an. Meine Aufgabe und die meiner Kollegin und Kollegen war es, die betriebswirtschaftlichen Abläufe zu formalisieren und in einfachen Programmen für Abrechnungen und statistische Zwecke darzustellen. Mit der Wende hatte das alles keinen Wert mehr. Megabit-Speicher gab es schon längst auf dem Weltmarkt und unsere „Programme“ dürften kaum jemandem ein müdes Lächeln entlockt haben. Im Juli 1990 wurde ein Teil der Belegschaft in Kurzarbeit (0 Stunden) geschickt, meine Kollegin und ich waren dabei. Das fand ich ziemlich ungerecht – warum nicht die Kollegen? Aber zum Jammern blieb nicht viel Zeit. Mein Mann hatte sich an der TU Chemnitz mit Kollegen und Studenten ein kleines Projekt aufgebaut und nutzte nun die Gelegenheit, sich selbstständig zu machen. Bulgarische Freunde organisierten eine größere Menge des damals beliebten, zu DDR-Zeiten als Bückware gehandelten Rosenthaler Kadarka, und wir versuchten mithilfe von Familie und Freunden, den Wein an Kaufhallen oder Gaststätten zu verkaufen. Der Erlös bildete einen Teil des „Stammkapitals“ der Firma. Die ersten Gehälter der Sekretärin gingen von meinem Gehalt ab. Wir hatten 2 Kinder im Alter von 5 und 8 Jahren, die versorgt werden wollten. Während ich das schreibe, kann ich gar nicht verstehen, warum ich damals nicht in Panik geraten bin. Im Gegenteil, ich konnte den Sommer mit den Kindern genießen, hatte endlich Zeit für die beiden. Für die berufliche Neuorientierung kam mir jetzt die schnelle Entlassung in die Kurzarbeit und ab 01.07.1991 in die Arbeitslosigkeit zugute. Ich interessierte mich für das Bankenwesen, da das im Studium natürlicherweise zu kurz gekommen war und konnte mir meine Wunsch – Weiterbildung zum Bankkaufmann frei auswählen. Ich war neugierig, wie die neue Gesellschaft funktioniert und konnte diese Wende wirklich als Chance be- und ergreifen. Nach Abschluss der 1-jährigen Ausbildung bewarb ich mich bei einigen Banken zunächst ohne Erfolg – ich war bereits Anfang 30 (!) und hatte 2 Kinder (!). Eine Vollzeit-Tätigkeit unter diesen Voraussetzungen überforderte die Vorstellungskraft der meisten Personaler. Letztlich erhielt ich eine Anstellung in einer Leasinggesellschaft und blieb in der Branche bis zu meinem Ausscheiden aus dem Berufsleben. Die Wendezeit war für mich eine Zeit des Aufbruchs, voller neuer Entdeckungen und Erfahrungen. Wir waren begeisterte Anhänger von Gorbatschows Politik der Öffnung, lange glaubte ich an die Möglichkeit, einen menschlichen Sozialismus aufzubauen. Durch viele Gespräche mit Kollegen, die Ereignisse im Herbst 1989 dämmerte mir so langsam, dass das ein großer Irrtum ist. Ich gehörte nicht zu denjenigen, die auf der Straße ihre Meinung demonstrierten – im Gegenteil, den 7. Oktober 1989 verbrachte ich mit meiner Familie bei den Eltern auf dem Dorf, um die Kinder zu schützen. Dennoch empfand ich die WENDE als eine Befreiung, als wäre eine drückende Last von den Schultern genommen. Sicher hatte ich auch Glück: Die Geschäftsleitung der Textimaelektronik GmbH kümmerte sich intensiv um die Belange der Belegschaft. Der Sozialplan wurde trotz großer Schwierigkeiten eingehalten. Ich habe mich fair und anständig behandelt gefühlt. Um eine wirklich neue, menschlichere Gesellschaft aufzubauen, war offensichtlich die Zeit noch nicht reif. Der gefühlte materielle Mangel wollte kompensiert, die neue Freiheit zu reisen, gespürt werden. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass immer mehr Menschen ihren inneren Frieden finden können, nur dann wird es gelingen, mit Mitgefühl und in gegenseitiger Achtung zusammen zu leben.

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