Dimitri Hegemann: Ein Dialog über Freiheit und die Geburt der Berliner Techno-Kultur
Stell dir vor, du kommst 1978 als junger Mensch in eine geteilte Stadt, deren Wunden noch offen sichtbar sind. Genau das war die Erfahrung von Dimitri Hegemann, dem späteren Gründer des legendären Tresor Clubs. Im Gespräch mit der jungen Journalistin Clara erzählt er die unglaubliche Geschichte, wie die einzigartige Freiheit Berlins zur Geburtsstätte einer globalen Kultur wurde.
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Vom Landei zum Raumforscher
"Ich war ja so ein Landei, so ein Dorfaussteiger", erinnert sich Hegemann. Seine Reise von einem 700-Seelen-Dorf ins pulsierende, aber auch gezeichnete West-Berlin legte den Grundstein für alles, was folgte. Die von Kugeln durchlöcherten Fassaden, die riesigen, leeren Hinterhöfe – diese urbanen Landschaften faszinierten ihn. "Ich glaube, da wurde der Grundstein gelegt, dass ich Raumforscher geworden bin."
Berlin war anders. Es war ein Ort, der Toleranz lebte und Menschen zusammenbrachte, die experimentieren wollten. "Die Stadt war sehr tolerant zu mir", sagt er. Dieses Klima war der Nährboden für Bands wie die "Einstürzenden Neubauten", die neu definierten, was Musik sein konnte. "Krach war plötzlich Musik", erinnert er sich.
Der Urknall: Der Tresor und die Freiheit der Nachwendezeit
Der Fall der Berliner Mauer 1989 war der ultimative Katalysator. Er schuf ein Vakuum, einen Moment fast völliger Anarchie und unbegrenzter Möglichkeiten. In diesem historischen Moment entdeckte Hegemann einen alten Banktresor unter einem verlassenen Kaufhaus am Potsdamer Platz. Er gründete den Tresor, einen Club, der zum Epizentrum der Techno-Kultur werden sollte.
"Das war unvorstellbar. In anderen Städten wie London oder Paris waren solche Räume unbezahlbar. Aber hier konnte ich das machen", erklärt er. Diese Freiheit, ungenutzte Räume zu erobern und mit Leben zu füllen, war der Schlüssel. Der Tresor wurde zum Symbol für die Vereinigung von Ost und West auf dem Dancefloor.
Das Erbe: Von der Subkultur zur "Nighttime Economy"
Was als Subkultur begann, hatte massive Auswirkungen. Die Berliner Clubkultur wurde zu einem Wirtschaftsfaktor im Wert von 1,45 Milliarden Euro jährlich. Sie schuf Tausende von Arbeitsplätzen und zog eine neue Generation von Kreativen und Touristen aus aller Welt an. Sie prägte das Image Berlins als offene, tolerante und freie Metropole nachhaltig.
Die Tür als Symbol und Auftrag
Zum Gespräch brachte Hegemann ein Stück der originalen Tresor-Tür mit. Für ihn ist sie mehr als nur ein Relikt. Sie ist "ein Symbol und eine Aufforderung für Entscheidungsträger: Öffnet die Türen, öffnet die Räume für die Jugend. Lasst was zu, und dann passiert auch was."
Die Mission heute: Freiheit exportieren
Dieses Credo treibt Dimitri Hegemann bis heute an. Seine Mission ist es, das Berliner Modell der Freiräume in andere Regionen zu tragen. Mit seiner Organisation "Happy Locals" berät er Gemeinden, wie sie durch kulturelle Räume junge Menschen halten und ihre Heimatorte beleben können.
"Lasst uns viele subkulturelle Zellen im Land aufbauen", lautet seine Vision. "Die Macher und Macherinnen, die gibt es schon vor Ort. Die muss man nur kurz wach küssen." Durch eine Akademie für Kulturarbeiter und die Beratung von Städten sorgt er dafür, dass die nächste Generation von Innovatoren die Chance erhält, ihre eigene Version von Freiheit zu gestalten.